Skip to main content Skip to page footer

Veria und Tyrnavos November 2016

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle | Tierärztin

Dieses Mal war alles Neu: wir waren ein neu zusammengesetztes Kastrationsteam, ein neues Helferteam, neue Einsatzorte und uns nur per Mail bekannte Tierschützer vor Ort. Bei genauer Betrachtung spielt dies alles jedoch nur eine Nebenrolle, denn ein wesentlicher Sachverhalt ist an jedem Einsatzort gleich, egal ob neu oder alt: die Tiere brauchen dringend Hilfe! Sie brauchen eine Hilfestellung, den Kreislauf der Fortpflanzung zugunsten derer zu durchbrechen, die schon geboren sind.

Keinen einzigen Welpen wollte ich geboren sehen, der in eine ähnliche Situation geraten sollte wie dieser kleine Zwerg vor unseren Augen. Kein erbärmliches Schreien, kein qualvolles Sterben eines Lebewesens, das noch gar keine Chance hatte, die Welt zu erkunden.

Wir wollen Akzente setzen, zeigen, dass mit Kastrationen viele Tiere innerhalb kurzer Zeit unfruchtbar gemacht werden können. Nur auf diese Weise können ungewollt große Tierpopulationen dauerhaft und ethisch vertretbar gesenkt werden.

Voller Motivation machten wir uns also auf den Weg nach Veria, einer kleinen Stadt eine Stunde westlich von Thessaloniki/Nordgriechenland. Max und Doris Walleitner von der "Tierinsel Umut Evi e.V." hatten den Kastrationseinsatz ins Leben gerufen, organisiert und finanziert. Normalerweise sind sie in der Türkei tätig, wichen nun aufgrund der politischen Lage nach Nordgriechenland aus. Sie packten ihren VW-Bus mit allen erforderlichen OP-Utensilien bis unters Dach und reisten bereits 2 Tage zuvor an. Dies war hervorragend, denn so konnten viele organisatorische Fragen vorab final geklärt und der Operations- und Aufwachraum vorbereitet werden...

Mich fasziniert bei solchen Einsätzen die Logistik... Menschen, die sich zuvor nie gesehen, unterschiedliche Sprachen und Charaktere haben, arbeiten innerhalb kürzester Zeit Hand in Hand. Wir bringen unseren kompletten OP inklusive aller erforderlichen Materialien mit. Würde eine einzelne Komponente im Puzzle aus 200 verschiedenen Einzelteilen fehlen, würde im schlechtesten Fall das ganze Projekt zum Stillstand kommen. Alles muss im Vorfeld perfekt organisiert, bestellt und geplant werden. Da wir dies tagein tagaus machen, ist es von unserer Seite größtenteils Routine. Nicht jedoch für die Tierschützer vor Ort, die wir im Vorfeld mit genauen Angaben zu unseren Wünschen ausstatten müssen, damit alles reibungslos von statten gehen kann.

Nachdem wir in Veria in einem schönen historischen Gästehaus der Stadt unser Quartier bezogen hatten, trafen wir uns zu einem gemeinsamen Abendessen mit allen Tierschützern. Die nächsten Tage sollten besprochen werden. Vaso Takis, Rechtsanwältin und Organisatorin vor Ort, wies uns in die lokalen Begebenheiten ein und betreute uns liebevoll. Es sollte uns an nichts fehlen...

Somit starteten wir mit vollem Elan am nächsten Morgen. Die ersten 25 Hunde wurden am Tag zuvor gefangen und warteten auf uns. Ein ganzer Helferstab ist engagiert, um tagtäglich Hunde und Katzen einzufangen und zu einem späteren Zeitpunkt genau an diese Stelle wieder zurück zu bringen. Ein Tier nach dem anderen wurde in Narkose gelegt und operiert. Schnell hatten wir uns alle aufeinander eingespielt. Vor der Türe wartete stets ein Helfer mit einem Hund für die Sedierungsspritze, die von meiner Helferin Verena gegeben wurde. Zur weiteren Vorbereitung kam Max hinzu, damit sich Verena voll und ganz auf das Schieben des Venenkatheters und der Verabreichung der Narkosemittel konzentrieren konnte. Währenddessen kümmerte sich Joachim um die genaue Dokumentation und Erfassung der Tiere: jeder Hund bekam ein Halsband mit Nummer und wurde vor und nach der Operation fotografiert. Dies hat den Vorteil, dass genau nachgewiesen werden kann, ob ein Tier von uns operiert wurde oder nicht. Amtstierärztin Sofia machte zeitgleich den erforderlichen Leishmaniose-Test, führte die Tollwut-Impfung durch und setzte den Mikrochip. Nach all den Vorbereitungen durfte ich nun die Kastration durchführen. Bereits nach den ersten Schnitten bekam der nächste Patient die Sedierungsspritze. Somit können wir mit optimal abgestimmten Arbeitsabläufen hohe Kastrationszahlen erreichen. Ich bin stolz auf unser Team, arbeiten wir doch das allererste Mal in dieser Konstellation zusammen. Mit Max und Doris hatte ich bereits zwei Kastrationseinsätze, aber für Verena, Joachim, Alexandra und mich war es ein erstes Zusammenarbeiten. Ich war von der ersten Minute an fasziniert: es funktionierte hervorragend. Nach der Operation wurden die Tiere zum Aufwachraum gebracht und dort von Alexandra und Doris betreut. Sie entfernten Zahnstein, putzten die Ohren, schnitten die Krallen, kämmten, bürsteten oder knuddelten einfach liebevoll die Tiere. Sooft ich den Raum betrat, war ich gerührt von der liebevollen Betreuung, die die beiden in der Nachsorge durchführten. Die Tiere genossen es sichtlich und ruhten sich auf den weichen Decken noch vollens von der Narkose aus.

Wie immer bei Kastrationseinsätzen ließen Sonder-Operationen nicht lange auf sich warten. Viele Tiere wurden uns mit zusätzlichen Problemen vorgestellt. Leider mussten wir in den ersten Tagen zwei Gliedmaßen-Amputationen durchführen. Die Gliedmaßen der beiden Hunde waren durch Brüche bereits verkrüppelt und konnten nicht mehr gerettet werden. Die Amputationen verschafften den Tieren Linderung. Auch Entfernungen von Tumoren, ausgelaufenen Augen oder Versorgung von Wunden gehören leider zum Alltag. Aber wir sind froh, den Tieren dadurch die Schmerzen nehmen zu können.

Nach fünf Operationstagen in Veria ging es weiter nach Tyrnavos, einer kleinen Gemeinde in der Nähe der Stadt Larissa. Nachdem der für Straßentiere zuständige Vizebürgermeister vor einigen Monaten über die engagierte Tierschützerin Maria Kontou vom Angebot von Kastrationsaktionen gehört hatte, erarbeitete er in Kooperation mit den lokalen Tierschützern einen Plan, wie es zu einer Umsetzung des Projektes kommen könnte. Ein altes ausgedientes Schlachthaus wurde entkernt, Wände eingesetzt, so dass ein Operationsraum, Aufwachraum, Büro und sanitäre Anlagen entstanden. Neue Fenster wurden installiert, die Wände gestrichen und kurz vor unserer Anreise waren die wichtigsten Baumaßnahmen abgeschlossen. Wir waren fasziniert von den Vorbereitungen, die eigens für die Aktion in die Wege geleitet wurden. Der Vizebürgermeister hatte uns persönlich unterwegs in Empfang genommen, um uns den Weg zur Gemeindepraxis zeigen zu können. Er begleitete das Projekt von der ersten bis zur letzten Minute: jeden Morgen war er der erste am Ort des Geschehens, kümmerte sich um alles und begleitete uns spät abends zur Taverne, um ein weiteres Mal die große Gastfreundlichkeit und Dankbarkeit zu repräsentieren. Dieser Mann imponierte mir. Nie zuvor hatte ich einen Bürgermeister erlebt, der sich so immens für das Wohl der Straßentiere in seiner Gemeinde einsetzte. Der sich nicht von Drohungen lokaler Tierärzte einschüchtern lies, gemeinsam mit uns nach Lösungen suchte und wir die Aktion zu Ende bringen konnten.

Die Kastrationstage vergingen und ich war jeden Tag dankbar, dass alle unsere Schützlinge die Narkose und Operationen gut überstanden hatten. Dieser Wunsch und Hoffnung ist im Stillen immer in meinen Gedanken und diese unterbewusste Anspannung sinkt erst Tage nach einer abgeschlossenen Aktion, wenn die letzten Rückmeldungen der Tierschützer mein Handy erreichen und zu lesen ist, dass es allen gut geht. Erst dann ist ein Einsatz wirklich zu Ende....

Diesen Wunsch und Hoffnung hatte ich auch dieses Mal. Ich erwähne diese Gedankengänge bei Kastrationseinsätzen nicht gerne, da holt mich ein gewisser Aberglaube ein. Dennoch sind die Gedanken da und spiegeln die Verantwortung für die uns anvertrauten Tiere wieder. Als ich eine der letzten Hündinnen auf dem Operationstisch hatte, ging plötzlich die Türe auf und hilfesuchende Blicke einer Tierschützerin trafen mich. "Ob wir für den Kleinen noch etwas tun könnten?" Mein Blick fiel auf einen leblos erscheinenden kleinen Körper, aus dessen Mund nur noch leise klagende Laute kamen. Dieses kleine Wesen lag vor Kraftlosigkeit und Unterkühlung im Sterben. Die Schleimhäute blass bläulich, die Augen tief eingefallen. Ich hatte sofort die unzähligen Welpen vor Augen, die uns bei Aktionen zuvor aus Mülltonnen, aus zugeschnürten Müllsäcken oder sonstigen Orten zum qualvollen Sterben in letzter Minute gebracht wurden. Ich unterbrach sofort die OP, alles musste nun schnell gehen. Infusionen und Wärmematten mussten angewärmt werden, der Kleine bekam einen Venenkatheter und alles uns zur Verfügung stehende, um ihn aus dieser bedrohlichen Situation zu bringen. Seine Klagelaute waren kaum zu ertragen. Sie spiegelten all das Leid wieder, das diesen kleinen Lebewesen zugemutet wird. Dessen hartem Kampf ums Überleben sie ausgesetzt werden, ohne dass sie etwas dafür können. In eine Welt geboren zu werden, in der sie nicht gewollt sind. Zumindest von einem Großteil der Bevölkerung, weil es einfach zu viele sind. Wir kämpften, er stabilisierte sich. Welpenmilch wurde angemischt und er zauberte ein Lächeln auf Mama Verenas Gesicht, als die ersten Züge aus dem Nuckel der Milchflasche hungrig aufgenommen wurden. Er suchte nach Nähe. Verena bastelte ein Tragetuch, um dem Kleinen alles geben zu können, was er brauchte. Nähe, Geborgenheit, Fürsorge. Ohne Worte operierte ich weiter, denn ich musste und wollte die noch wartenden 10 Hündinnen kastrieren. Keinen einzigen Welpen wollte ich geboren sehen, der in eine ähnliche Situation geraten sollte wie dieser kleine Zwerg vor unseren Augen. Kein erbärmliches Schreien, kein qualvolles Sterben eines Lebewesens, das noch gar keine Chance hatte, die Welt zu erkunden. Doch es sollte nicht sein. Nach ein paar Stunden verschlechterte sich sein Zustand. Trotz Infusionen, Medikamente, Wärme und Fürsorge konnten wir sein Schicksal nicht aufhalten. Er starb am nächsten Morgen....

Diese Erfahrung in den letzten Stunden des Einsatzes zeigt mir, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Wir müssen weitermachen, Akzente setzen, mit gutem Beispiel voran gehen und zeigen, dass wir mit Kastrationen das Leid verringern können.
Ihre Melanie Stehle

PS: vielen herzlichen Dank an meine fabelhafte Helferin Verena, ich freue mich auf weitere Einsätze mit Dir! Herzlichen Dank an Euch liebe Tierinsler Doris und Max, dass ihr diese tollen Projekte ins Leben gerufen habt, weil auch ihr an die Sinnhaftigkeit der Kastrationen glaubt. Hut ab vor Eurem Engagement liebe Alexandra und Joachim. Ihr gebt Eure freie Zeit für anstrengende Einsätze und kurze Nächte. Danke an alle Organisatoren und Helfer vor Ort, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Kämpft weiter für ein besseres Leben eurer Straßentiere. Wir sehen uns bald wieder!

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

Jetzt spenden!

In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de

Projektpartner

Dieser Einsatz wurde organisiert und finanziert vom Verein "Tierinsel Umut Evi e.V."

  •     Tierinsel Umut Evi e.V.
  •     VR-Bank Mittelhessen e.G.
  •     IBAN DE 30513900000079993107
  •     BIC VBMHDE5F