Kapverden
Praia November 2021
Ein Bericht von Dr. Marga Keyl, Tierärztin
Praia, Kapverden. Das Fenster ist offen, der Ventilator läuft, trotzdem ist es brütend heiß. Draußen bellen nonstop irgendwelche Hunde, mitten in der Nacht geben Motorräder vor der Tür Vollgas. Eine Mücke summt mir ums Ohr und hält mich wach. Irgendwann schlafe ich ein, nur um bald darauf vom Krähen eines Hahnes wieder geweckt zu werden. Dazu bellen Hunde, mähen Schafe und unser kleines Katzenbaby, das wir vorübergehend mit nach Hause genommen haben, fängt lautstark an zu miauen. Solange, bis sich jemand bequemt, aufzustehen und es aus seiner Box zu nehmen. Ich habe die Nacht kaum geschlafen, wie auch die Nächte zuvor. Eine Frau ruft draußen laut „Banaaaana, Papaya“, während sie unsere Straße entlangläuft. Meine Hündin Emmy kommt an mein Bett und schleckt mich ab. Es ist halb sieben. Ok, dann eben aufstehen, schlafen geht jetzt sowieso nicht mehr.
Viertel vor neun: Ich schreibe Madueno, ob er uns bald abholen kommt oder ob wir lieber ein Taxi nehmen sollen. Diese Warterei am Morgen zieht sich häufig, und ich möchte nicht zu Hause sitzen und nichts tuend warten, während ich in der Klinik schon anfangen könnte, die Patienten zu behandeln. Aber fünf Minuten später ist er schon da und bald darauf sind wir in der Klinik.
Es ist Montag, gestern waren wir nicht vor Ort. Der erste Blick gilt einem Welpen, der schon seit ein paar Tagen am Tropf hängt. Es ging ihm sehr schlecht und wir wissen nicht, ob er noch lebt. Er liegt in seiner Box in Seitenlage, ist schlapp und hat offensichtlich starke Schmerzen. Keins der Medikamente hat angeschlagen und wir entscheiden uns, ihn zu erlösen.
Dann werden die stationären Patienten der letzten Tage versorgt. Sarah aus Österreich und Sarah aus Deutschland, beides Tierärztinnen, sind mir eine große Hilfe. Es tut immer gut, zu wissen, dass um mich herum Menschen sind, die die Situation auf „europäische“ Art und Weise beurteilen.
Der Hund, dessen alte Wunde am Ohr ich versucht habe, aufzufrischen und erneut zu vernähen, bekommt seine Medikamente. Die Wunde wird wahrscheinlich wieder aufgehen und dann steht eine größere OP mit Verschluss des Ohres an, aber ich wollte ihm wenigstens noch eine Chance geben, sein Ohr behalten zu können.
Verbandswechsel von den Hunden mit kaputten Beinen. Die Wunde am Bein, die ich vor vier Tagen vernäht habe, sieht noch gut aus. Ich habe Hoffnung, dass alles gut verheilt und die Hündin in ein paar Tagen nach Hause zu ihrem Besitzer kann.
Verbandswechsel von einem Hund mit gebrochenem Bein. Die Fraktur ist geschlossen und damit hat der Hund eine Chance, sein Bein behalten zu können. Aber vor uns liegt ein langer Weg, mit viel Boxenruhe und vielen Verbandswechseln. Er hat starke Schmerzen beim Verbandswechsel, ich versuche, so vorsichtig wie möglich zu sein.
Ein weiterer Autounfall, der sich die halbe Unterlippe abgerissen hatte. Die Wunde hatte ich vernäht, aber wie zu erwarten war, ist sie wieder aufgegangen. Trotzdem sieht die Lippe besser aus als vor der OP, er wird damit so leben können - und müssen.
Ein weiterer Verbandswechsel von einer Beinverletzung, die schon älter war. Hier gab es operativ nichts mehr zu tun. Es braucht Zeit, aber die Wunde heilt gut.
„Marga, kannst du eben nach vorne kommen und einen Hund anschauen?“ Vorne warten mehrere Patienten mit ihren Besitzern. Mein Blick fällt auf einen Welpen in einer rosa Plastiktüte, nur ein Vorderbein schaut aus der Tüte heraus. Autounfall. Ich nehme den Welpen aus der Tüte und schaue auf ein zerfetztes Hinterbein. „Amputation“ ist mein erster Gedanke. Der zweite Gedanke: „Mist, das andere Hinterbein sieht auch nicht gut aus.“ Ich schaue genauer hin und sehe, dass das zweite Hinterbein ebenfalls gebrochen ist, im Sprunggelenk. Damit ist das Schicksal besiegelt und es bleibt nur die Euthanasie. Der Junge, der den Welpen gebracht hat, sieht traurig aus. Ich glaube, er mochte seinen Hund.
Hinten müssen wir noch einen Hund behandeln, er ist so stark von Räude gezeichnet, dass er überall Wunden in der Haut hat und kaum noch Fell. Ein Auge hat eine alte Verletzung, früher oder später wird es entfernt werden müssen. Ein netter Mann hat ihn auf der Straße gefunden und in die Klinik gebracht. Er kann den Hund in dem Zustand nicht bei sich unterbringen, doch er wird für die Kosten der Behandlung aufkommen. Ich schaue dem Hund in die Augen und muss lächeln. „Du wirst wunderschön sein“ verspreche ich ihm, denn ich habe schon viele dieser Verwandlungen gesehen. Ich habe ein „Vorher-Bild“ gemacht und ich freue mich schon auf das „Nachher-Bild“ in ein paar Wochen, wenn das Fell einmal nachgewachsen ist und die Wunden geheilt sind.
Es geht weiter, die Jungs haben ein paar Hunde gefangen. Ich werde heute alle, die operieren, genau beobachten, um zu gucken, was gut läuft und wo die Techniken verbesserungsbedürftig sind. Einige der Jungs operieren „nur“ Rüden, andere (mit weiterer Ausbildung hier auf den Kapverden) operieren auch Hündinnen. Ich laufe von einem zum anderen und mir gefällt, was ich sehe. Hier und dort sind die Nahttechniken verbesserungswürdig, doch das kriegen alle schnell in den Griff. Sarah aus Österreich operiert derweil die Katzen, Sarah aus Deutschland hat noch nicht viel OP-Erfahrung und macht zunächst einmal die Kater.
„Marga, kannst du bitte eben nach vorne kommen und dir ein „coelho“ angucken?"
„Ein was?“
„Ein coelho!“
„Was ist das? Ich kenne das Wort nicht… Ich komme gleich, ich muss eben noch warten, bis die Naht dort fertig ist.“
Ich gehe nach vorne und sehe auf dem Tisch ein Kaninchen liegen, den Kopf nach hinten überstreckt. Ich fasse es an und fühle nur Knochen unter der Haut. Ich drehe mich mit entsetzter Miene zu dem Besitzer und sage nur „das müssen wir einschläfern“. Er stimmt zu. Etwas Narkose in den nicht mehr vorhandenen Muskel reicht schon aus, wenig später hört das Kaninchen auf zu atmen.
Mittagspause. Wir gehen kurz nach nebenan und essen etwas in dem kleinen, kapverdischen „Restaurant“, wo man zwischen verschiedenen Mittagsgerichten auswählen kann. Für Sarah und Sarah gibt es vegetarisch: Reis mit Bohnen und etwas Gemüse. Für mich gibt es noch ein Stück Thunfisch dazu.
Nach dem Mittag geht es weiter. Herwig Zach, der Leiter der Bons Amigos, hat uns über Sarah aus Österreich noch eine Sachertorte mitgeliefert, die wir alle dankbar als Nachtisch verspeisen und die ein bisschen neue Energie für den Nachmittag liefert.
Wir stehen im OP und operieren noch weitere Hunde. Es ist heiß, denn wenn wir die Fenster öffnen, kommen die Fliegen herein. Wir brauchen unbedingt einen Ventilator hier drinnen.
Eine Frau bringt ihren Hund, der die Tage zuvor schon wegen wiederkehrendem Fieber behandelt wurde. Die kleine Hündin frisst immer noch nicht. Ich untersuche sie heute zum ersten Mal, das Fieber ist gesunken. Doch etwas im Bauch fühlt sich nicht normal an. Sie ist sehr abgemagert und trotzdem fühlt sich der Bauch voll und teigig an. Da stimmt was nicht, ich hake nach. 10 Jahre alt, nicht kastriert, hatte dreimal Welpen. Ich äußere meinen Verdacht auf eine Gebärmutterentzündung und hole mir die Erlaubnis ein, nachzugucken und den Hund zu kastrieren - egal ob sich der Verdacht bestätigt oder nicht. Diagnostik können wir nicht betreiben, das Ultraschallgerät funktioniert leider nicht…
Doch der Verdacht bestätigte sich und als wir der Besitzerin später die Fotos zeigten, fragte sie schockiert „Das war alles in meinem kleinen Hund drin?“ Ich hoffe, dass sie sich in Zukunft eher für die Kastration entscheidet.
Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Gilson steckt seinen Kopf in den OP: „Marga, kannst du dir kurz einen Hund angucken? Das Bein muss wohl amputiert werden, aber heute können wir das nicht mehr machen.“ Nebenan liegt eine große Hündin, die gerade einen Autounfall gehabt hat. Von einem Hinterbein ist nicht mehr viel übrig. „Kann sie auf dem anderen Hinterbein laufen?“, frage ich. Ja, das kann sie zum Glück. Ok, dann werden wir das Bein morgen amputieren. Gilson wäscht und säubert die Hündin so gut es geht, denn sie ist voller Sand und Dreck und an ihrer seitlichen Bauchwand klafft eine große Hautwunde, die wir heute nur provisorisch verschließen.
Es ist halb sechs, die Jungs bringen noch die kastrierten Tiere an ihre angestammten Plätze zurück. Wir fahren mit dem Taxi nach Hause. Wir sind durchgeschwitzt und denken für den Moment nur noch an eine Dusche.
Draußen bellen die Hunde, viele Menschen sind auf der Straße und unterhalten sich lautstark, Kinder spielen in den Straßen. Morgen ist ein neuer Tag.
Helfen
Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!
In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.
In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:
Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer
TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de