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Kreta - Praktikumsbericht

Ein Bericht von Bärbel Achter

Kreta, New Life Resort, 21.4.-7.5.2024

Kathi, Mitte 20, ausgebildet als TFA, und ich, 60, Teilzeitjobber, kommen am selben Tag in Heraklion an. Wir werden von Dr. Marga Keyl, Tierärztin des Tierärztepools seit zehn Jahren, abgeholt. Gespannt und voller Tatendrang sitzen wir beide im Auto und löchern Marga mit Fragen um herauszufinden, was uns die nächsten Tage erwarten wird. Ein unmögliches Unterfangen. Im New Life Resort (NLR) werden wir in liebevoll eingerichteten Zimmern untergebracht und lernen auch sofort die tierischen Bewohner kennen, allen voran Bella, ein Cane Corso-Mix mit bewegender Vergangenheit, eine Seele von einem Hund mit Leishmaniose und Hüftproblemen. Auch Tassos kommt neugierig aus seinem Versteck, wo er den Tag normalerweise verschläft. Er ist ein zotteliger Senior undefinierbarer Herkunft und großer Fan von Gerlinde, von ihr erzähle ich später mehr.

Im NLR gibt es eine Quarantänestation, bewohnt von einer Katzenmama, ihren 5 Jungen und drei Adoptivkindern. In den anderen Boxen sind eine rote junge Katze, ein Kater mit einer alten Verletzung, die nicht heilen will und eine frisch kastrierte Katzenmutter mit vier Jungen zur Beobachtung untergebracht. Die Mama mit den vier Jungen und die rote Katze werden in ein paar Tagen ausziehen - zurück zu fürsorglichen Menschen auf der Insel, die sich um sie kümmern.

Es gibt auch zwei Kater die zeitlebens eine Dauerbehandlung benötigen und die seit langem auf einen Flug nach Deutschland warten, sie haben nun endlich ein Zuhause in Deutschland gefunden. Und eine schwarze Katze mit einem hartnäckigen Katzenschnupfen. Im Hof lebt eine kleine Kolonie Freigängerkatzen, einige körperlich eingeschränkt, wie zum Beispiel Tracy, deren Blase zweimal täglich manuell entleert werden muss. Sie alle werden jeden Tag zweimal mit Futter und Medikamenten versorgt und ihre Gesundheit vom jeweiligen Tierarzt überwacht - im Moment von Marga.

Nach der Abendrunde fahren wir nochmal kurz los, um eine frisch kastrierte Katze frei zu lassen. Der starke Saharawind verhindert, dass wir noch ein paar neue Kandidaten für die geplante Kastrationsaktion am nächsten Tag fangen können, also genießen wir den Abend mit einem Krimi und besprechen den nächsten Tag.

Morgens um sieben teilen wir uns die Versorgung der Stationstiere: Bella in ihren Zwinger sperren, die Katzengruppe am Hundetrakt versorgen, die Stationskatzen in den Boxen und im Katzenzimmer füttern und behandeln, die Freigänger und Tassos füttern. Alleine ist man da eine Stunde gut beschäftigt, zu dritt sind wir schnell durch.
Um halb acht laden wir den Transporter mit dem Equipment für die Kastrationstage in der Gemeinde Rethymno, etwa 40 min Autofahrt entfernt. Ein paar Tiere übernehmen wir an einem Parkplatz. Die freiwilligen Helfer haben sie am Abend vorher irgendwo an einem Futterplatz gefangen. Auf jeder Box ist ein Aufkleber mit dem Fangort. Dorthin wird die Katze am nächsten Morgen wieder zurückgebracht. Katzen, die augenscheinlich irgendwo einen Wurf haben, gehen heute Abend noch zurück.
In den Kastrationsräumen werden wir bereits von Gerlinde Heiss erwartet, die selbst auch schon einen Schwung Katzen zur Kastration mitgebracht hat. Gerlinde kommt aus Heidelberg, lebt aber schon viele Jahre mit ihrem griechischen Ehemann auf Kreta. Sie spricht fließend griechisch, kennt viele der Einheimischen und Eingewanderten und hat ein Netz von freiwilligen Helfern zum Einfangen der Katzen. Über das Handy ist sie ständig am Organisieren und Koordinieren der Katzentransporte. Sie übernimmt auch die Pflege der Stationstiere, wenn gerade niemand sonst da ist. Unersetzlich. Wir entladen den Transporter und richten alles her.

Die Katzen kommen in ihren Boxen zunächst in den Vorbereitungsraum. Sie werden mit großen Tüchern abgedeckt. Gerlinde richtet auf einem riesigen Tisch alles zur OP Vorbereitung her. Marga und Gerlinde sind ein eingespieltes Team. Gerlinde setzt die erste Katze in eine von fünf von uns mitgebrachten Quetschboxen um. Dabei erhält jede Katze eine fortlaufende Nummer, die auch auf ihre Transportbox geklebt wird. So wird sichergestellt, dass jede Katze wieder dorthin zurückkommt, wo sie gefangen wurde. In der Quetschbox wird der Katze das Narkosemittel gespritzt. Ist sie eingeschlafen, nimmt Gerlinde sie heraus, klebt ihr ihre Nummer auf das Fell und legt sie auf den großen Tisch. Dort werden die Ohren gesäubert, die Zähne überprüft und die nötigen Stellen rasiert. Gerlinde spritzt den Katzen eine Entwurmung, ein Schmerzmittel und ein Antibiotikum.

Marga hat eine Menge zu tun. Sie übernimmt die vorbereitete Katze mit einem mündlichen Bericht über die Voruntersuchung. Sie arbeitet schnell und effektiv. Ein Kater dauert zwei Minuten, eine Katze normal sechs bis sieben. Jeder kastrierten Katze wird ein kleines Dreieck aus dem linken Ohr geschnitten. Das ist das Erkennungszeichen für die Fänger der Straßenkatzen. Sie sehen mit einem Blick, welche Katzen an einer Futterstelle nicht kastriert sind.

Einige Katzen haben Zahnprobleme. Zähne ziehen ist eine kraftraubende Angelegenheit. Der Gesundheitszustand vieler Straßentiere ist katastrophal: Schlechte Ernährung, Ohrmilben, Würmer, alte Wunden, Zecken, entzündete Augen, gelegentlich Räude oder Schrotkugeln - all das muss behandelt werden.

Kathi, genau wie ich zum ersten Mal dabei, schaut erst Gerlinde, dann Marga über die Schulter und kann aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung schnell voll mitarbeiten. Sie ist begeistert von der Effizienz der Operationsmethodik und versteht sich sofort mit Marga. Ich übernehme das Umsetzen der Katzen in die Quetschboxen, das Reinigen der Transportboxen und die Nummerierung der Patienten. Es werden von freiwilligen Helfern noch mehr Katzen gebracht. Oft haben die Helfer Essen und Getränke für uns dabei und warten geduldig, bis ihre Kandidaten wieder transportfähig sind. Das dauert mindestens drei Stunden. Nach der OP kommt die Katze zurück in ihre ursprüngliche Transportbox und bleibt zur Beobachtung im OP Raum. So können Marga oder Gerlinde schnell reagieren, wenn ein Patient sich übergibt, was durch die Narkose häufiger vorkommt. Bei den Straßenkatzen kann nicht gewährleistet werden, dass sie nüchtern zur OP erscheinen und bei Erbrechen besteht Erstickungsgefahr. Erst wenn die Katze ihren Kopf selbst wieder heben kann, wird sie aus dem OP entlassen. Dann übernimmt entweder der Helfer, der sie gebracht hat oder die Boxen werden in den Nebenraum gestellt und mit Tüchern abgedeckt. Sie gehen dann am Abend wieder mit uns oder Gerlinde zurück zum Übergabeort, wo sie gegen neue Patienten getauscht werden. An manchen Tagen ist es für eine Übergabe zu spät und die Tiere müssen ins NLR mitgenommen werden. Dann findet der Tausch am nächsten Morgen statt. Der OP Tag in Zouridi beginnt um 9 Uhr und endet, wenn der letzte Patient wieder in seiner Box liegt. Am Abend, wenn die letzte Katze in die Quetschbox umgesetzt ist, wird auch der letzte Schwung OP Besteck gereinigt. Schmutzige Handtücher und Abdecktücher kommen in den Wäschesack, die wachen Katzen werden aus dem OP gebracht. Die gebrachten Lebensmittel müssen verpackt und verräumt werden, Geschirr gespült, der Boden gewischt. Bis unser Transporter wieder beladen, alles aufgeräumt und geputzt ist, wird es 17 Uhr. Ein recht früher Feierabend, wie mit gesagt wird.

Unterwegs zum NLR tauschen wir Katzen und werfen die Müllsäcke in die nächste noch aufnahmefähige Tonne an der Strasse. Im NLR warten schon unsere Pfleglinge auf Futter, Behandlung und Streicheleinheiten. Zu dritt ist das bald erledigt und wir freuen uns auf eine warme Dusche und ein schnell gekochtes, gemeinsames Abendessen. Eine langjährige Helferin bringt am Abend noch zwei Katzenbabys, die sie neben der toten Mutter gefunden hat. Aus den Ohren der beiden holt Marga eine Unmenge an Fliegenmaden! Sie haben sich schon so weit hineingefressen, dass die Babys nicht mehr zu retten waren.

Am nächsten Tag erwarten uns in Zouridi auch zwei Hunde zur Kastration. Sie können am Boden narkotisiert werden, da sie zahm sind. Erst wenn sie wieder zu sich kommen, müssen sie in eine Box, da sie sonst ständig im Weg sind und raus wollen. In der Aufwachphase sind die Hunde zudem teilweise noch verwirrt. In der Transportbox ist es sicherer, hier können sie nicht herumtorkeln oder stürzen. An diesem Tag habe ich viel zu tun. Fast jede Katze hat ihre Ankunftsbox eingenässt und eingekotet. Außerdem haben viele von ihnen Futter in der Box, was zu vermehrtem Erbrechen in der Quetschbox führt. Zu allem Übel kommt ab Mittag kein Wasser mehr aus der Leitung! Wir haben also nur noch Kanister und Flaschen, auch für die Toilette. Am Abend freue ich mich wirklich sehr auf eine Dusche, ein tierfreies Zimmer und eine saubere Küche! Kathi fliegt schon am Mittwoch in der Früh zurück nach München. Für die nächsten Tage hat Marga genug Helfer in Zouridi, also bleibe ich im NLR und kümmere mich um die liegengebliebenen Wäscheberge. Auch Abstauben und Saubermachen kann man in so einem Haus immer. Es bleibt noch Zeit für einen Spaziergang zum Meer und zum Einkaufen. An einem Abend bringt Gerlinde noch einen Notfall. Eine apathische Katze, die nichts mehr zu sich nimmt. Sie wird von einem älteren Mann versorgt, dem sehr viel an ihr liegt. Mehrere Tage hängt sie am Tropf zur Flüssigkeitszufuhr, alle Untersuchungen bringen kein Ergebnis. Als sich ihr Zustand nicht bessert, legt Marga sie in Narkose und schaut in ihren Bauch. Leider ist sie nicht zu retten. Der Magen ist stark entzündet und die Leber sieht katastrophal aus. Die Ursache lässt sich ohne pathologische Untersuchungen nicht feststellen. An den griechischen Ostertagen sind nicht viele Kandidaten zur Kastration zu erwarten, da die freiwilligen Helfer mit ihren Familien feiern. Freitag und Samstag werden noch ein paar Tiere versorgt, dann wird das Equipment zurück zum NLR gebracht. Marga bereitet sich nach dreieinhalb Monaten auf ihre Abreise vor. Sie wird von Julia Gruhn abgelöst, die Lisa Holl als Assistentin mitbringt. Auch Thomas Busch kommt ins NLR, um Verhandlungen mit den Besitzern des Hauses zu führen, das der Verein gemietet hat und das nun verkauft werden soll. Auch mit den Bürgermeistern der Gemeinden, in denen wir kastrieren können, müssen Gespräche und Interviews geführt werden.

Marga und Julia gehen die Stationstiere durch, für die jetzt Julia zuständig ist. Stundenlang stehen sie bei den schwierigen Fällen und besprechen, wägen ab, untersuchen nochmal. Die Lage bei der Katzenmama mit den Adoptivbabys bleibt schwierig. Die Größeren fressen zwar inzwischen Kittenfutter, aber die Kleinen wachsen nicht, eins ist schon gestorben. Marga ist oft abends noch lange bei ihnen gewesen und hat versucht, die Kleinen der Mama näher zu bringen und sie zugefüttert. Die zweite Katzenmama konnte aber mit ihren Babys in ein Zuhause entlassen werden, die kleine rote Katze auch und die schwarze Katze mit dem Katzenschnupfen ist in ein größeres Außengehege umgezogen. Sie wird nun fast täglich von Bella, der Cane Corso Mix Hündin besucht und es ist sehr lustig, ihr „Gespräch“ zu belauschen. Als wir am Morgen des nächsten Kastrationstages mit voll beladenem Transporter in Zouridi ankommen, ist Gerlinde schon da. Noch vor ihr kam aber der Hund an, den jemand an das Tor gebunden hat. Er hatte sich bereits so verheddert, dass er sich fast selbst erhängt hätte. Fürsorglich hat der ehemalige Besitzer Futter und Wasser da gelassen. Ironie aus…

Schnell ist klar, dass der junge Rüde ausgesetzt wurde. Er ist nicht gechipt und folglich nicht registriert. Das ist eigentlich inzwischen Pflicht in Griechenland, die Kontrolle ist aber wohl nicht einfach. Alle nicht gechipten Hunde werden im Auftrag der Gemeinde gechipt, kastriert und geimpft. Macht das der Tierärztepool, bekommen sie auch noch ein Tattoo auf den Bauch. Leopold, wie wir ihn genannt haben, kommt am Abend mit uns ins NLR zur Beobachtung nach der Kastration. Wir finden einen Platz bei einem Tierschützer von der Insel, wo er bleiben kann. Der neue Besitzer unterschreibt die Adoptionspapiere und übernimmt den Hund von der Gemeinde. Leopold ist bei Menschen aufgewachsen, er würde auf der Strasse einiges einstecken müssen und womöglich nicht überleben. In den nächsten Tagen kommt auch ein junger Hund mit einem Dickdarmvorfall zu uns - mit vielleicht dreieinhalb Monaten! Auch er kommt ins NLR, geht aber, wenn alles gut verheilt, wieder zurück zu dem Menschen, der ihn gebracht hat. Julia und Lisa arbeiten beide im OP, so dass Gerlinde keine Vorbereitung machen muss und sich um die vielen organisatorischen Dinge kümmern kann. An zwei Tagen erscheint ein griechischer Tierarzt, um mit Julia zu operieren. Er wird eventuell ein neuer Kollege im Tierärztepool. In der Klinik, in der er bisher arbeitet, konnte er noch nicht viel OP-Erfahrung sammeln, was er sehr gerne ändern möchte.

Die Tage in Zouridi gehen zu Ende. Am letzten Tag packen wir wieder alles ein, machen sauber und fahren zurück. Bald werden Julia und Lisa zu einem anderen Ort der Insel fahren, um dort zu kastrieren. Dann wird sich Gerlinde einen oder zwei Tage um die Station kümmern, denn der Ort ist zu weit entfernt, um ins NLR zurück zu fahren. Ich fliege am 7.5. frühmorgens zurück. Es gäbe noch viel zu berichten über Tierleid auf Kreta, politische Hürden, die Einstellung der kretischen Bewohner, die Lage der Helfer, Arbeits- und Lebensbedingungen der Tierärzte und Assistenten. In den 25 Jahren, die der Verein hier schon tätig ist, wurde viel erreicht aber es bleibt immer noch eine Menge zu tun!