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Minos - die Ereignisse überschlagen siuch

Ein Bericht von Thomas Busch, Tierarzt und 1. Vorsitzender

Start eines neuen Tierschutzprojekts auf Kreta

Im Frühjahr 2025 hat der Tierärztepool erstmals einen Kastrationseinsatz in der Gemeinde Minos auf Kreta durchgeführt – ein Ort, der bisher nicht Teil unseres Programms war. Was als vorsichtige Anfrage begann, entwickelte sich schnell zu einer intensiven, engagierten Aktion mit großem Zulauf. Gemeinsam mit griechischen Kolleg:innen und lokalen Tierschutzorganisationen konnten wir innerhalb von drei Tagen 146 Tiere kastrieren. Dieser Einsatz war nicht nur ein Erfolg – er war der Auftakt zu einem neuen, regelmäßigen Projekt in der Region.

Ein erster Einsatz, der alles verändert

Die Ereignisse überschlagen sich.
Während unser „Im Einsatz“, den Sie gerade in Händen halten, die zweite Korrekturschleife über sich ergehen lässt, bin ich auf Kreta. Zum dritten Mal in den ersten drei Monaten dieses Jahres.
Mit dem Bürgermeister von Minos traf ich mich Ende 2024. Minos ist eine von sechs Gemeinden des Bezirkes Heraklion. Er fragte nach, ob unsere Kapazitäten ausreichen würden, Minos mit in unser Kastrationsprogramm aufzunehmen. Solche Anfragen werden recht häufig an uns herangetragen, ob dabei am Ende aber auch wirklich etwas herauskommt, steht oft in den Sternen. Diesmal nicht.
Von Freitag bis Sonntag sind wir vom Tierärztepool angereist. Mit den schlimmsten Befürchtungen, dass vor Ort kaum etwas an Equipment und Organisation vorhanden ist. Was diese Aktion von den bisherigen unterscheidet: Wir rücken mit zwei auf Kreta lebenden griechischen Tierärzten an. Auch Dr. Sarah Stumpp vom Tierärztepool begleitet uns. Sie sollte eigentlich in Rethymno kastrieren, aber dort sind wir ja eigentlich immer. Demnach haben wir sie abgezogen und ebenfalls mitgenommen.
In Avli, einem winzigen Dorf in der Mitte von Olivenhainen, ist die Hölle los. So viele Pick-ups, die typischen Fahrzeuge der Schäfer und Jäger habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Sie warten auf uns, die Tierärzte.

Ein Gesetz - und seine späte Wirkung

Das griechische Tierschutzgesetz wurde vor einigen Jahren novelliert. Mit durchaus guten Passagen, wie zum Beispiel, dass jedes Tier kastriert werden muss. So weit ist Papier geduldig und nichts wurde umgesetzt oder kontrolliert. Aber die Tierschutzszene war aktiv. Großartige Leute und aktive Vereine, vornehmlich “Zero Stray Pawject”, übten Druck auf die Bürokratie aus. Ein pensionierter Polizist in ehemalig hoher Stellung, setzte durch, dass 48 seiner jungen Kollegen zukünftig die Einhaltung dieses Gesetzes kontrollieren werden. Alle Tiere müssen bis zum 01.07.2025 kastriert sein. Passiert das nicht, kann eine Strafe bis zu 1000,- folgen. Wer sein Tier nicht kastrieren lassen möchte, muss einen DNA-Test vorlegen. Private Besitzer konsultieren einheimische Tierärzte, mittellose Menschen, Schäfer / Landwirte dürfen ihr Tier zu uns bringen. Zu Kastrationsaktionen, wie wir sie seit Jahrzehnten durchführen.
Die uns zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten sind ideal. Ein riesiger Raum wurde mit Trennwänden vor neugierigen Blicken geschützt. Dahinter gehen wir in Stellung. Gott sei Dank haben wir drei OP-Tische mitgebracht! Die niedrigen, vorhandenen Holztische hätten für schlimme Rückenprobleme bei unseren Chirurgen gesorgt. Innerhalb von 45 Minuten stehen die OP-Tische, die OP-Lampen, die Sterilisatoren, die Elektrik. Und los geht es. Ab jetzt wird keine Rücksicht mehr auf persönliche Befindlichkeiten genommen. Jeder verschwindet in dem Tunnel seiner Verantwortung, konzentriert sich drei Tage von morgens bis abends und stellt anschließend fest, dass die ganze Anstrengung auch sehr viel Spaß gemacht hat. Und an Sinnhaftigkeit kaum zu überbieten ist.
Im OP-Bereich geschehen ab nun die Dinge, die in einem OP-Bereich immer passieren. Dort arbeiten keine Roboter, sondern Menschen. Menschen, die sich bisher zum Teil nicht kannten. Eine Teamzusammenstellung ist auch immer eine Herausforderung. Eben weil die persönlichen Befindlichkeiten hintenanstehen. Trotzdem wird erzählt, man tauscht sich aus, es werden Erfahrungen von einem Tisch zum anderen transportiert, es wird gelacht und manchmal auch geweint. Klöße im Hals gehören zu unserem Alltag wie das Rasieren der Bäuche.

Ein starkes Netzwerk - und ein Blick in die Zukunft

Der Gestank ist unerträglich und der Kloß in unseren Hälsen beginnt zu wachsen. Die Schäferhündin guckt ängstlich zu mir auf. Ich bin der erste, der sie auf dem Pick-up sieht. Fragen, was passiert ist, stelle ich schon lange nicht mehr. Ich ziehe die Narkose auf und drücke ihr die Daumen. Das total entzündete Ohr freizulegen ist eine Kunst und Herausforderung für unsere Schermaschine. Eiter kommt uns entgegen. Was hat dieses Tier bisher an Schmerzen ertragen? Wieso ist man nicht zu einem Tierarzt gefahren? Ach ja, Fragen wollte ich ja keine mehr stellen. Wir können nichts für sie tun. Die Operation wäre mit unserem Erfahrungsschatz und unter diesen Umständen nicht zu verantworten. Ja, auch Tierärzte können nicht alles! Aber eins können unsere Tierärzte: Ehrlich sein und niemals aufgeben. Also wird nicht rumgedoktort, sondern die Arche-Maschinerie angeworfen. Es gelingt, einen Klinikplatz in Frechen zu ergattern. Dort führen Dr. Mike Albring und Dr. Nassima Janassary eine beeindruckende Klinik. Die Leser, die die Arche seit Langem begleiten, dürften diese Namen noch kennen.
Vor ziemlich genau 20 Jahren arbeiteten die beiden ein Jahr lang im Tierheim Chania für unseren Verein. Seitdem pflegen wir einen freundschaftlichen Kontakt. Über den Ausgang der Operation kann ich Ihnen an dieser Stelle leider nichts berichten, aber wenn wir alle die Daumen drücken...
Aber zurück nach Avli. Dort hat sich der Platz vor dem Gebäude dermaßen gefüllt, dass die umliegenden Dörfer eigentlich leer sein müssten. Von der Ferne laden die großen Plakate von Zero-Stray-Pawject ein, sich einen Termin zu ergattern. Die Helfer sind unermüdlich unterwegs. Sie reden, überreden, überzeugen, klären auf und vermitteln Souveränität. Viele Gesichter kenne ich, einige sind neu. Fast ein bisschen melancholisch stelle ich fest, dass Griechenland mittlerweile eine dermaßen hervorragende und offensichtlich auch gut zusammenarbeitende Tierschutzszene hat, auf die man stolz sein kann. Der Tierärztepool füllte seit Jahrzehnten die Nische aus, die einer Spezialisierung gleichkommt. Eine Symbiose, die besser nicht sein könnte.
300 Tiere hatten sich angemeldet. 146 Operationen werden wir in drei Tagen schaffen.
Und wissen Sie was? Nächstes Wochenende sind wir wieder hier. Das aus Deutschland zum Schichtwechsel anreisende Team wird im Westen von Kreta eingesetzt, das griechische Team kommt nach Avli zurück.
Oh Gott, wo geht die Reise noch hin?

Ihr Thomas Busch