Skip to main content Skip to page footer

Am Rande der Gesellschaft

Ein Bericht von Nina Schöllhorn, Tierärztin

Das Leid der Tiere ist häufig sehr eng verbunden mit dem der Menschen. Wo es den Menschen am Nötigsten fehlt, wird es auch den Tieren nicht besser gehen.

Unsere Arbeit in Rumänien führt uns daher immer wieder in Randbezirke. Es sind nicht nur die Randbezirke der Städte, sondern vor allem die der Gesellschaft. Das Thema der Roma ist nicht nur in Rumänien, aber besonders hier, ein sehr vielschichtiges. Die gesamten Zusammenhänge zu verstehen ist fast nicht möglich. Es ist ein leichtes zu urteilen, über die Zustände dort, über Gewalt, Müll, verwahrloste Tiere und Kinder. Wirklich hinzusehen und zu verstehen, erfordert dagegen einiges an Zeit und Mühe.
Bereits seit 14 Jahren kastrieren wir in Sighisoara Hunde und Katzen der Roma. Ich war immer sehr schockiert vom Zustand der Tiere, bis ich mich nach Jahren einmal selbst vom OP-Tisch weg, dorthin bewegte, wo diese Tiere leben. Seitdem bin ich noch schockierter. Ich bin entsetzt über derartige Lebensumstände von Menschen und Tieren. Nirgendwo auf der Welt sollten derartige Zustände herrschen, doch besonders in Europa rechnet man nicht mit dergleichen. Die Behausungen sind winzig, baufällig und ohne befestigten Boden. Die meisten Häuser sind ohne Strom, fließend Wasser, sanitäre Einrichtungen gibt es nicht. Familien mit vielen Kindern drängen sich in einem einzigen Wohnraum. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie sie alle Platz zum Schlafen finden. Ja, ich wundere mich jedes Mal, wie es überhaupt möglich ist, so die harten rumänischen Winter zu überleben.

Vor einigen Jahren erweiterte sich unsere Hilfe über Hunde und Katzen hinaus. Wir wollten auch etwas für die Arbeitspferde tun, deren Anblick für uns schon lange kaum zu ertragen war. Diese Pferde sind häufig in körperlich sehr desolatem Zustand. Der Ernährungszustand ist mangelhaft, sie sind von allen nur denkbaren Parasiten befallen, leiden unter chronischen Atemwegserkrankungen, Verletzungen und vor allem an Lahmheiten, die sehr häufig dem katastrophalen Hufbeschlag zuzuschreiben sind. In diesem schlechten Zustand müssen sie weiterarbeiten, die Kutschen schwerbeladen durch den Stadtverkehr oder Bäume aus dem Wald ziehen. Es ist kaum zu ertragen, was diesen Tieren abverlangt wird und wie sehr sie dabei leiden. Wir begannen zunächst damit, kostenlosen Hufbeschlag anzubieten. Die Anfänge waren nicht einfach, denn das menschliche Miteinander in diesen Gemeinschaften ist durchaus anders, als wir es gewohnt sind. Es herrschen sehr raue Umgangsformen, Gewalt und Alkohol sind an der Tagesordnung. Pünktliches Erscheinen, Zuverlässigkeit, organisiertes, zielgerichtetes Arbeiten, höfliche Umgangsformen, all das dürfen wir dort nicht erwarten. Schnell kann man an den Punkt geraten, an dem einem das Chaos dort über den Kopf wächst, man sich erschlagen fühlt angesichts all der Probleme und man sich lieber wieder Schauplätzen zuwendet, an denen man zuvorkommend behandelt wird.
Gabriel ist seit fünf Jahren an meiner Seite und geht als der für mich beste Lebenspartner der Welt mit mir gemeinsam durch alle Stürme, die wir in Rumänien zu bewältigen haben. Durch ihn bin ich noch enger mit seinem Land und den Menschen zusammengewachsen und die Arbeit des Tierärztepools wäre ohne ihn nie und nimmer da, wo sie heute steht. Er beschäftigt sich mit der Problematik schon seit vielen Jahren und die Menschen sind ihm sehr ans Herz gewachsen. Von Anfang an betonte er: „Wir müssen ihnen zuhören und versuchen zu verstehen. Wir können nicht einfach erscheinen und erwarten, dass sie uns freudig ihre Hunde zur Kastration mitgeben. Wir müssen uns bekannt machen und ihr Vertrauen erarbeiten. Diese Menschen sind nichts als Ausgrenzung gewohnt - natürlich sind sie misstrauisch.“
Wer also etwas erreichen will, muss Zeit und Energie investieren und darf nicht morgen schon mit einer großen Veränderung rechnen. Wer sich allerdings darauf einlässt, wird sehr bewegende Erfahrungen machen.

Gabriel konnte sich ihr Vertrauen erarbeiten. Er ließ sich auch durch unschöne Ereignisse nicht abschrecken. Immer wieder gab es herbe Rückschläge, doch er ging immer wieder los. Auch für mich selbst ist das Ganze oft zu viel und ich bewundere ihn für seine Beharrlichkeit. Was er erreicht hat, ist ein Austausch. Sie haben verstanden, dass man bei ihm mit Geschrei, Drohungen und Bedrängung nichts erreicht - man aber mit ruhigem, angepasstem Verhalten weiterkommt. Wer gewalttätig mit seinem Tier umgeht, wird keine Hilfe bekommen. Wer sich aber um seine Tiere bemüht, dem werden auch wir versuchen zu helfen.

Es hat sich sehr schnell abgezeichnet, dass das, was in solchen Gemeinschaften am dringendsten erfolgen muss, die Aufklärung ist. Sehr viel, worunter die Tiere leiden, entsteht aus reiner Unwissenheit: eingewachsene Stricke um den Hals, ungeeignete Zuggeschirre, verschimmeltes Heu, ständiges Stehen in Kot, Urin, Matsch, unbehandelte Wunden und vieles mehr. Es ist oft kein böser Wille, sie tun lediglich das, was schon immer getan wurde und die Kinder von heute werden es wieder tun, wenn wir nicht neue Ansichten in ihre Köpfe pflanzen. Die Kinder freuen sich unglaublich über jede Aufmerksamkeit, sie saugen Informationen auf wie Schwämme. Sie haben so ein großes Potenzial und so wenig Chancen, dort, wo sie hineingeboren sind. Wie kann das ganze System der sozialen Ausgrenzung durchbrochen werden? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob dies überhaupt möglich ist. Umso wichtiger finde ich, dass wir diesen Menschen auf Augenhöhe begegnen, dass wir jeden einzelnen sehen und ihm zuhören.
Gabriel steht in ständigem Austausch mit den Roma und er wird informiert, über verletzte Tiere, die Hilfe brauchen. Bei ernsten Notfällen schicken wir einen Tierarzt vorbei. Regelmäßig finden Entwurmungsaktionen statt. Wann immer möglich helfen wir mit Hufbeschlag. Wir freuen uns auch sehr über Tierärzte wie Johanna von „Tiere in Not Austria“, die sich die Zeit nahm, viele der Pferde ausführlich zu untersuchen und Hilfestellung zu geben.

Mir ist durchaus bewusst, wie groß das gesamte Problem ist, finde es aber enorm wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen. Vor einiger Zeit saß ich mit Gabriel zusammen, nachdem er wieder einmal vor Ort einen Rückschlag erlebt hatte. Wir waren uns in diesem Moment einig, dass wir uns Schritt für Schritt in die richtige Richtung bewegen und dass das alles ist was zählt. Auch wenn wir kleine Schritte gehen.
In der vergangenen Woche haben wir bei den Roma wieder viele Hunde kastriert. Noch nie ging eine Einfangaktion so friedlich vonstatten. Alle Kinder halfen Gabriel und waren mit großer Freude dabei. Auch von Seiten der Erwachsenen gab es keine Widersprüche und kein Geschrei. Ein kleiner Junge, der noch kaum sprechen konnte, nahm Gabriel bei der Hand, um ihm einen verletzten Hund zu zeigen.
Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Schritt für Schritt.
Eure Nina

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

Jetzt spenden!

In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de