Rumänien - Das Quarantäneprojekt
Ein Bericht von Michelle Hoffmann
Es ist kurz nach Mitternacht. Mein Wecker klingelt. 0:30 Uhr kann ich mit zerknitterten Augen kaum erkennen. Verschlafen stehe ich auf und ziehe mich an. Trödeln ist nicht, denn das Flugzeug wartet nicht. Müde komme ich am Flughafen an, checke ein und steige in den Flieger. Der Startschuss für einen weiteren Einsatz ist abgefeuert.
Normalerweise hört das Gefühl mit der Anzahl der Einsätze auf, dass man sich fragt, was auf einen zukommen wird, wie stressig es werden wird oder was für schreckliche Notfälle an uns herangetragen werden.
Je mehr Einsätze ich hinter mich gebracht habe, desto routinierter wurde ich. So würde ich dem Ganzen auch diesmal gerne begegnen, und alles so nehmen, wie es kommt.
Nur ist es dieses Mal leider anders. Seit Corona kann man nicht mehr einfach einen Flug buchen und mit seinem Einsatz starten. Es braucht negative Corona-Tests, Einreiseanmeldung, Quarantäne und vieles mehr.
Wochen zuvor beginne ich fast täglich die Seite des Auswärtigen Amtes zu checken. Nichts. Trotz steigender Zahlen in Deutschland, sind wir kein Risikogebiet in Rumänien. Weder einen negativen Test, noch Quarantäne stehen auf dem Plan. Ich bange inständig, dass dies so bleiben wird, denn auch wenn es riskant ist, beginnen wir mit unserer Kastrationsaktion direkt am nächsten Tag nach meiner Ankunft. Es gibt so viel zu tun, eine Warteliste, die sich ins gefühlt Unendliche zieht und einen bereits seit Monaten ausgebuchten Tierminkalender (ja, genau!) für unseren fünf wöchigen Einsatz in Slatina.
Wenige Tage vor meiner Anreise dann plötzlich der Schock! Rumänien hat nun auch Deutschland wieder zum Risikogebiet erklärt. Es fallen ein negativer Test und zehn Tage Quarantäne in Rumänien an für alle Einreisenden. Sofort buche ich einen Termin im Testzentrum. Dies ist das kleinste Problem, auch wenn es wieder zusätzliche Kosten für den Verein bedeutet. Aber zehn Tage Quarantäne? Wenige Tage bevor unser Einsatz beginnt? Ratlosigkeit tritt auf. Nina, die bereits seit mehreren Wochen in Rumänien unterwegs ist, hatte ihre Quarantäne bereits hinter sich und konnte wie geplant arbeiten. Aber wie soll sie all die Termine ohne Assistenz schaffen? Wer soll sich um alles kümmern, während sie selbst steril im OP steht? Fragen über Fragen. Es werden also Termine verschoben, neue vereinbart, eine Woche dran gehängt, örtliche Tierärzte gesucht, die sich bereit erklären, Nina bei der Narkose zu unterstützen und vieles mehr. Der neue Plan steht: Nina operiert wie geplant, jedoch mit anderer Assistenz, während ich zehn Tage in Quarantäne verbringe und endlich mal all das Liegengebliebene erledige, wie beispielsweise das Lager und alle neu angekommenen Spenden aufräumen und sortieren.
Am Flughafen gelandet holt mich Nina ab. Gemeinsam fahren wir ungefähr sechs Stunden zu unserem Einsatzort. Auf dem Weg halten wir in einem, uns bereits bekannten, Tierheim. Nina hatte dies vor einiger Zeit entdeckt und war so schockiert von den Lebensumständen der Hunde, dass sie, wann immer es möglich ist, hinfährt, um zu helfen. Sowohl mit Kastrationen, als auch mit der Vermittlung von Hunden. Ich selbst kannte das Tierheim nur von Ninas Erzählungen und von meinem Pflegehund, bei dem mir selbst in Deutschland ganz anders wurde, als ich seinen heruntergekommenen Zustand beim Aussteigen aus dem Transporter sah.
Angekommen im Tierheim verschlägt es mir dann ganz die Sprache. Wir gehen in vielen Tierheimen für Kastrationsaktionen ein und aus, aber so etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen.
Schockiert von den Zuständen des Tierheims, ist es mir kaum möglich, die Situation zu beschreiben. Überall in den Zwingern Dreck, die Hunde eng auf wenige Quadratmeter gepfercht, ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit. Überforderte Arbeiter und vor Angst schreiende Hunde. Das Aggressionspotential ist durch die engen Haltungsbedingungen enorm. Ständig kommt es zu Beißereien. Ich laufe weiter durch die Reihen, bis ich an den Welpenzwingern vorbei komme. Zirka 25 Welpen, wenige Wochen alt, bis zu einem Alter von vielleicht vier Monaten hocken hier in ihrem dreckigen Zwinger. Das Futter ist ungeeignet, eingeweichtes Brot mit großen Trockenfutterbrocken. Die Kleinsten von ihnen sind noch nicht einmal in der Lage dies zu fressen.
Ihr Zustand ist erbärmlich. Voll mit Flöhen, Haarlingen, Würmern und Milben liegen sie im überfüllten Zwinger. Einige sind bereits zu schwach um aufzustehen. Dass diese Welpen sich offensichtlich neben dem ganzen Parasitenbefall auch mit Parvovirose oder einer anderen Viruserkrankung infiziert haben, ist so klar, wie das Armen in der Kirche.
Ratlos schaue ich Nina an. Dies sind die schweren Momente in denen wir unseren Verstand einschalten müssen und unser Herz leise bluten lassen. Denn während einer normalen Kastrationsaktion, bei der wir keinen einzigen freien Tag haben und locker 12 Stunden täglich im OP stehen, um so viele Tiere wie möglich unfruchtbar zu machen, ist es uns aus vielerlei Gründen nicht möglich an Parvo infizierte Welpen mitzunehmen. Zum einen braucht es eine Rundumbetreuung, denn ein mit parvoinfizierter Patient ist ein Intensivpatient. Zum anderen ist die Gefahr, dass wir andere, ungeimpfte Hunde, die uns während der Kastrationsaktion gebracht werden, anstecken, viel zu hoch.
Noch immer stehen Nina und ich vor dem Welpenzwinger. Wir sind nicht weiter gegangen. Wir haben es einfach noch nicht übers Herz gebracht. Erneut treffen sich unsere Blicke und uns ist beiden klar, dass wir in diesem Moment das selbe denken. Vorsichtig frage ich Nina: „sollen wir sie mitnehmen?“
Ein kurzer Gedankenwechsel, das Durchgehen der weiteren Planung und unsere Entscheidung steht. Wir müssen verrückt sein, aber unser Herz blutet nicht mehr.
Heute werden wir nicht an diesen kleinen Wesen vorbei gehen mit dem Wissen, dass sie nie auf einer grünen Wiese spielen dürfen und auch nie von einem Menschen geliebt werden. Sie würden nach Tagen der Qualen an Parvovirose sterben, ohne je einen Namen gehabt zu haben um am Ende lieblos im Müll entsorgt zu werden.
Nun bleibt nur noch die grausame Frage, wer bekommt die Chance und wen müssen wir zurücklassen? An unserem Einsatzort haben wir keine Quarantänestation, so wie wir sie uns wünschen würden oder wie man sie in Deutschland kennt. Wir müssen uns selbst zu helfen wissen. Unser freies Badezimmer. Warum nicht? Dort ist alles gefliest und anschließend relativ leicht zu desinfizieren. Aber alle haben im Badezimmer keinen Platz, also muss eine Auswahl stattfinden. Wieder so eine furchtbare Aufgabe! So wiegen wir gemeinsam ab, welche Welpen unserer Meinung nach auch im Tierheim überleben könnten und welche sicher sterben werden. Am Ende sitzen in unserer Hundebox die sieben kleinsten und schwächsten Welpen. Die, die es mit größter Sicherheit alle nicht geschafft hätten. Außerdem dürfen noch zwei etwas ältere Welpen mit, die Parvovirose bereits überstanden haben, jedoch ein schreckliches Hautproblem mit sich rumschleppen.
Mit 36 Pfötchen mehr an Board geht es weiter nach Slatina, unserem Kastrationsort.
Was folgt ist der Umbau des Badezimmers. Hundekörbe, Futter und Trinknäpfe, Desinfektionsmittel und vieles mehr wandert in unser Reinigungszimmer, von dem wir wissen, dass es in Kürze diesen Namen nicht mehr verdienen wird. Hatten Sie schon einmal Welpen? Nicht? Dann beschreibe ich Ihnen auch nicht, was diese kleinen Patienten so alles veranstalten können und wie Hundefutter aussieht, wenn es den Magen-Darm-Trakt passiert hat. Der Vorraum bildet unsere Schleuse. Währenddessen kramt Nina in unseren Medikamenten und sucht das raus, was wir hoffentlich nicht brauchen werden. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Mein, im wahrsten Sinne des Wortes doppeltes Quarantäneprojekt kann nun also beginnen. Das erste, was passiert; die süßen, kleinen Welpen entwickeln sich tatsächlich zu Monstern, denn mit den Brotresten konnten sie offensichtlich nichts anfangen. Hungrig fallen sie über die Näpfe her. Nina und ich beobachten das wie zwei zufriedene Mütter, die ihren Sprösslingen beim Schaukeln zugucken.
Ich hatte natürlich bereits Kontakt zu an Parvo erkrankten Tieren, aber ein ganzer Wurf...? Das ist neu für mich.
Aber nicht alle fraßen wie kleine Monster. Leider. Die Schwachen füttere ich mithilfe einer Spritze. Alle bekommen Vitaminpasten und bei Bedarf nötige Medikamente und Infusionen. Insgeheim hoffe ich, dass die Kleinen vielleicht doch kein Parvo haben, nur einen anderen Infekt und geschwächt durch die Mangelernährung und die vielen Parasiten sind.
Am nächsten Morgen sind aber alle meine Hoffnungen zunichte gemacht, denn die ersten Welpen haben blutigen Durchfall und auch der Parvo-Schnelltest ist positiv.
So startet der Kampf der Welpen, mein Kampf, unser aller Kampf. Der Kampf ums Überleben.
Ab jetzt beginnt jeder Morgen mit einer gemeinsamen „Visite“. Nina und ich besprechen den Medikamentenplan und untersuchen den allgemein Zustand der Welpen.
Dann verschwindet Nina zu ihren Kastrationen und ich bleibe alleine zurück. In meiner Quarantäne und in der meiner Welpen.
Ich stelle mir einen Wecker alle zwei Stunden. Alle zwei Stunden biete ich ab jetzt rund um die Uhr den kleinen Babys etwas zu fressen an. Wer frisst - wunderbar! Wer nicht, bekommt das Futter von mir mit einer Spritze direkt ins Mäulchen. Denn das wichtigste ist, dass sie fressen, denn nur mit Futter kann der Magen-Darm-Trakt weiter arbeiten und sie können genügend Energie sammeln, um das Parvovirus zu besiegen. Soweit die Theorie.
Alle zwei Stunden Kleidung wechseln, alles sauber machen, desinfizieren, wieder umziehen, ... denn Hygiene ist in diesem Fall extrem wichtig.
Ich schaffe an diesem ersten Tag nichts anderes, als die Betreuung meiner Welpen. „Zeitintensiv“ ist ein charmanter Begriff! Kaum ist der letzte Welpe fertig versorgt, ist der erste wieder dran. Aber trotz aller Bemühungen dauert es nicht lang, da stirbt der erste der sieben Welpen und auch die übrigen Geschwister werden zunehmend schlechter. Am Abend, als Nina zurück kommt und wir uns auf zu unserer abendlichen „Visite“ machten bin ich ziemlich niedergeschlagen. Trotz intensivmedizinischer Behandlung und Rundum-Betreuung konnten wir dem armen kleinen Kerl nicht helfen, er starb in meinen Händen und ich konnte nur zusehen.
Während der Betreuung dieser kleinen Seelen erlebe ich eine Achterbahnfahrt der Gefühle, passend mit den Schwankungen der Gesundheitszustände der Babys. Denke ich in der einen Stunde, dass es bergauf geht, ist in der nächsten Stunde alles vorbei. So wechseln sich die Welpen ab, mal ist der eine etwas fitter, dann der andere wieder schlechter.
Es vergehen die Tage. Wie jeden Morgen starten wir mit der gemeinsamen Visite, danach kümmere ich mich rund um die Uhr um die Kleinen. Ich biete ihnen ein Buffet von allen möglichen Futtersorten, Selbstgekochtes bis hin zur Welpenmilch. Jedes Zeichen, auf eigenständiges Fressen nutze ich aus. Ich versuche ihnen, so gut es geht, nah zu sein, doch während ich in meiner Quarantäne-Kleidung mit den Welpen auf dem Arm auf dem Boden sitze, weiß ich bereits, dass es bald den nächsten erwischen wird. Ich kann es in ihren leeren Augen sehen. Schwach und voller Schmerz und Verzweiflung vegetieren sie dahin. Die ersten fünf Tage stirbt täglich ein Welpe und auch ein Teil von mir. Trotz Schmerzmittel, Infusion und allem, was wir noch für sie tun konnten raffte es die Kleinen unter Bauchweh dahin.
Wieder haben wir alles versucht, können sie am Ende und in den letzten Stunden ihres kurzen Lebens aber nur noch begleiten und uns fragen, was wir hätten anders machen sollen?
Am sechsten Tag sind nur noch zwei der sieben Welpen übrig. Ich will es einfach nicht wahr haben, muss aber alleine in meiner Quarantänezeit damit klar kommen. Mit jedem Tag, den ich zu den Welpen ins Badezimmer kam, war ein Augenpaar weniger da. Sie hatten noch ihr ganzen Leben vor sich und doch haben sie den Kampf verloren. Sie wurden geboren, um qualvoll zu sterben.
Immer mehr wünsche ich mir, dass es wenigstens einer schaffen würde. Wenigstens einem das wundervolle Leben in Deutschland schenken zu dürfen, sorgenfrei und geliebt, das war zu diesem Zeitpunkt mein größter Wunsch, für den ich alles gab.
Nach sieben Tagen des Kämpfens und des Verlierens, begrüßen mich am Morgen das erste mal zwei vor Freude wedelnde Hundebabys. Noch etwas wackelig auf den Beinen, aber noch in einem deutlich besseren Zustand, stürzen sie sich das erste Mal nach sieben Tagen gierig auf das Futter. Mein Herz macht einen Satz vor Glück.
Auch die nächsten Tage geht es mit den beiden verbliebenen Welpen weiter bergauf. Der blutige Durchfall verschwindet, sie haben Appetit und werden immer munterer.
Pünktlich zum Ende meiner Quarantäne kann ich sicher sagen, dass sie über den Berg sind. Sie haben es geschafft. Aber was für einen Preis haben wir alle bezahlt? Von sieben Welpen konnte ich zwei Tieren das Leben, welches sie alle verdient hätten, schenken. Moya und Yoomee. Sie sind die Glücklichen.
Yoomee der Kleinste der Gruppe und Moya die Anhängliche, die ich wohl die meiste Zeit auf meinem Arm getragen habe.
Sie jetzt im Garten mit den größeren Welpen, die ebenfalls wie ausgewechselt aussehen, zu beobachten, ist ein unbeschreiblich tolles Gefühl. All die Arbeit, Mühe und Liebe haben sich allein für diesen wundervollen Augenblick gelohnt. Es tut mir nur so schrecklich leid, für die, die es nicht geschafft haben.
So starte ich nach einer sehr schwierigen Quarantänezeit endlich zu der Kastrationsaktion, wegen der ich eigentlich gekommen bin.
Davon berichte ich Ihnen aber nicht.
Vielmehr von meiner Heimreise, denn die beginne ich nicht alleine :-).
Da meine Zwerge inzwischen alt genug sind und die notwendigen Impfungen haben, begleiten mich Moya und Yoomee raus aus diesem Land.
So ziehen sie kurzerhand als Pflegehunde in Deutschland bei mir ein, um sich von dort aus auf die Suche nach ihren eigenen Zuhause zu machen.
Und das das nicht lange dauert, können Sie sich sicherlich vorstellen.
Mit dem Druck dieses Reports sind Moya und Yoomee bereits zu echten Junghunden herangewachsen, sie haben sich toll entwickelt, scheinen all ihre grausamen Erfahrungen hinter sich gelassen zu haben und ich darf mich regelmäßig an schönen Fotos und Videos von ihren neuen Familien erfreuen.
5:2 ist die traurige Bilanz, die mich immer noch beschäftigt. Glauben Sie mir, ich habe mich bemüht und alles gegeben, es sollte einfach nicht sein.
Als kleiner Trost bleibt mir nur, dass es ohne Nina und mich 7:0 gestanden hätte.
Eure Michelle
Helfen
Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!
In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.
In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:
Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer
TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de