Skip to main content Skip to page footer

Veria 2019

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle, Tierärztin

Manchmal ist es schwierig, Gedanken, Eindrücke und Empfindungen in Worte zu fassen. Über Erlebtes zu sprechen, Missstände an den Tag zu legen, ohne gleichzeitig Menschen vor den Kopf zu stoßen und Gefahr zu laufen, sich damit den Zugang zu Mensch und Tier komplett zu versperren. In den Jahren bei der Arche habe ich schon oft bemerkt, dass wir zart gewachsenes Vertrauen, entstehende Freundschaften und das Gefühl des „Miteinander etwas erreichen zu können“ nicht durch Vorwürfe und Frustration wieder im Keime ersticken lassen sollten.

 

 

Seit November 2016 operieren wir in Veria, einer kleinen Stadt 60km westlich von Thessaloniki. Bei insgesamt sechs kleineren Aktionen konnten 781 Kastrationen durchgeführt werden. An sich keine niedrige Zahl. Betrachtet man jedoch das Straßenbild der Stadt, so befürchte ich, dass wir noch weit entfernt von einem sichtbaren Fortschritt bei der Problemlösung sind. Straßenhunde an jeder Ecke, allesamt groß und schon fast an Bären erinnernd. Angestellte der Stadt berichten von täglichen Beschwerden aus der Bevölkerung.

Die Situation ist ernst zu nehmen, denn auch wir können das große Problem der Überpopulation sehen. Immer wieder werden vergiftete Hunde und Katzen gefunden, immer wieder denkt die Stadt an den Bau eines weiteren Tierheimes, was die Tragödie für die Tiere nur noch verstärken würde und keinesfalls eine Lösung wäre. Tagtäglich weckt es den Gedanken in mir, dass hier ein permanentes Kastrationsteam stationiert werden muss. Das nicht aufhört, ehe sich die Situation für die Tiere und damit auch für die Menschen zum Guten gewandelt hat. Doch wer übernimmt diese Arbeit? Auch wenn hier die Not von all unseren Griechenlandprojekten am Größten ist, auch wenn hier ein Welpe nach dem anderen an Parvo und Staupe elendiglich krepiert, wer übernimmt und wer unterstützt die anderen Projekte in Griechenland, die auch Hilfe benötigen? Wir brauchen mehr Tierärzte, die sich mit Herzblut für Straßentiere einsetzen. Doch diese zu finden ist sehr schwierig. Sollten sie wie eine Nadel im Heuhaufen entdeckt worden sein, beginnt die Ausbildung und bis die Anerkennung der griechischen Approbation vollzogen ist, können 1-4 weitere Jahre ins Land gehen. Über die Kosten möchte ich an dieser Stelle gar nicht nachdenken.

Ich hoffe insgeheim auf meinen jungen griechischen Kollegen, der mir am OP-Tisch gegenüber steht. Ich beginne mit der Gratwanderung aus positiver Bestätigung, konstruktiver Hilfestellung und allenfalls vorsichtiger Kritik, um den jungen Tierarzt für diese Mission zu begeistern. Er wird hier in Veria im städtischen Tierheim für die nächsten acht Monate der verantwortliche Tierarzt sein, der die Straßentiere kastriert und er wird auch auf die Tierheiminsassen ein Auge werfen.
Je besser er die Operationstechniken beherrscht, je kleiner er die Operationswunde bei Hündinnen machen kann, desto mehr Hündinnen können durch ihn unfruchtbar gemacht werden. Er hat Interesse, unsere schonende Operationstechnik zu erlernen -  auch mit der bitteren Erfahrung, dass kein Meister innerhalb kürzester Zeit vom Himmel fällt. Dennoch hoffe ich, dass er auch nach unserer Abreise mit der nötigen Ehrfurcht vor der ihm anvertrauten Verantwortung mit dem Leben der Tiere umgeht. Dass er erkennt, dass er sein Team begeistern muss, damit sich in dieser Stadt das Straßentierproblem irgendwann zum Guten wendet. Definitiv keine leichte Aufgabe, denn die Tierliebe ist hier nicht bei vielen Verantwortlichen zu finden. Wenn diese fehlt, Sie können es sich sicherlich gut vorstellen, fehlt auch die Motivation und Leidenschaft, Kraft für Veränderungen aufzubringen.

Die Tierheimmitarbeiter verbringen mehr Zeit auf ihren Stühlen sitzend als sich um die Tiere zu kümmern. Von grünen Algen überzogene Wassernäpfe scheinen sie ebenso wenig zu interessieren wie von Kot überquellende Zwinger. Tierseuchen, gefühlt an jeder Ecke dieser Tieraufbewahrungsstätte. Und wir? Wir sollen zwischen all den an Parvo und Staupe sterbenden Welpen eine Kastrationsaktion durchführen? Die an Giardien und Hautpilz erkrankten Hunde erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Wir sollen alle uns anvertrauten Tiere wieder in gutem und gesundem Zustand an die Überbringer zurück geben.

Jedem Hygienebeauftragten würden die Haare zu Berge stehen. Was tun? Wieder abreisen? Wieder nach Hause fliegen und sagen, dass wir damit nichts zu tun haben wollen? Aber was würde es für die Tiere bedeuten und würden wir damit eine Veränderung in die Wege leiten? Davon abgesehen sind wir nicht hier, um den Kopf in den Sand zu stecken. Anstatt gemütlich den Operationsraum einzurichten, beginnen wir erst mal aufzuräumen, zu putzen und zu desinfizieren. Die erkrankten Welpen wurden isoliert und nur unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen durfte ihr improvisierter Quarantänebereich betreten werden.

Somit hatten wir neben der Kastrationsaktion bereits ab dem ersten Tag zehn schwerkranke Welpen in unserer Obhut, die intensivmedizinisch versorgt werden mussten. „Ja keine emotionale Bindung zu den schwer erkrankten Welpen aufbauen“, höre ich mein Unterbewusstsein sagen. Wir geben ihnen all das in unserer Macht stehende an medizinischer Versorgung, Streicheleinheiten und gutem Zureden. Aber mehr darf es nicht sein - aus Selbstschutz.

Aus Schutz vor aufkommender Verzweiflung und der Frage nach Gerechtigkeit, warum diese unschuldigen kleinen Geschöpfe all die Qualen dieser Erkrankung erleiden müssen. Die höchstwahrscheinlich ihre Augen wieder verschließen werden, bevor sie jemals die Welt erkunden durften. Ich bemerke, wie sich auch bei meiner Helferin Sabrina die Gedanken um die Welpen drehen. Auch ihr Unterbewusstsein kämpft. Rationalität gegen Emotionalität. Immer und immer wieder. Was passiert mit den Welpen, wenn bis zu unserer Abreise noch keine Tendenz auf Überleben oder Sterben zu sehen ist? Nach der Kastrationsaktion haben die Tierheimangestellten erst einmal Urlaub, weil sie wegen uns mehr arbeiten bzw. anwesend sein mussten. Ein weiterer Grund, nach anderen Lösungen zu suchen. „Ich habe sie“, höre ich Sabrina ganz unverhofft die gedankenerfüllte Stille des Raumes durchbrechend sagen. „Ich habe die Lösung - ich werde unsere Kollegin Antonia fragen, ob sie die am schwersten an Staupe erkrankten Welpen weiter versorgen kann. Ihr ist im Urlaub wahrscheinlich eh langweilig ;-)“. Gesagt getan. Wer Antonia kennt, weiß, dass sie einen verzweifelten Hilferuf nie abschlagen würde - auch in ihrem wohlverdienten Urlaub nicht. Erleichterung breitet sich aus und wir können uns wieder besser auf unsere eigentliche Mission - das Kastrieren - konzentrieren.

Hand in Hand arbeiten wir von früh bis spät. Es macht Spaß zu sehen, wie sehr wir uns in all den Einsätzen aufeinander eingespielt haben und die Arbeitsabläufe perfektioniert haben. Mein Dank geht an all die Tierschützer vor Ort, die sich nicht entmutigen lassen, für eine bessere Welt zu kämpfen. An die Stadtverwaltung, die mit Kastrationen den richtigen Weg der Problemlösung eingeschlagen hat. An Doris und Max  Walleitner, die mit ihrem Verein „Tierinsel Umut Evi e.V.“ das gesamte Projekt finanzieren und organisieren.

Im Speziellen danken möchte ich Max, der die Tiere in den Operationsraum bringt und Sabrina bei der Operationsvorbereitung hilft. Der von früh bis spät für aufkommende Fragen ein offenes Ohr hat und sich für Problemlösungen einsetzt. Der aufmerksam beobachtet, wann es an der Zeit ist, unser Gemüt mit einem Stück Schokolade wieder in die richtige Bahn zu lenken.
Und Doris, die all die Aufgaben im Nachsorgebereich managt und stets den notwendigen Überblick bewahrt. Ihr Arbeiten gibt den Tieren Liebe und Würde mit auf den Weg, die sie teilweise in dieser Form in ihrem ganzen Leben noch nicht erfahren durften.
Heike, die sich erstmalig mutig auf dieses Abenteuer eingelassen hat und mit Ausdauer all die gemütlichen Mithelfer auf Trab gehalten hat. Und zu guter Letzt möchte ich Sabrina danken. Einen souveränen Menschen an der Seite zu haben mit der Gewissheit, sich 150%ig aufeinander verlassen zu können, ist das Schönste, was man sich für solch einen Einsatz wünscht. Ich danke euch allen von Herzen,
Eure Melanie

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

Jetzt spenden!

In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de