25 Jahre
Ein Bericht von Thomas Busch, Vorsitzender
Die Hunderudel am Strand von Rethymno sucht man vergebens. Überhaupt sind Straßenhunde in gewissen Regionen auf Kreta selten anzutreffen. Dass ich mal so etwas schreibe, hätte ich vor 25 Jahren nie gedacht. Zwar nimmt die Katzenpopulation zu, wenn die Anzahl der Hunde sinkt, aber wir haben da eine Idee: Kastrationen!
Mit Hochdruck arbeiten wir daran. Mit inzwischen zehn Tierärzten, die fest unserem Verein angehören, planen wir eine tägliche Präsenz über 365 Tage auf Kreta. Jeder Arzt braucht, um effektiv operieren zu können, eine Assistenz, die die Tiere für die OP vorbereitet. Auch hier konnten wir das Personal auf neun Helfer aufstocken.
Dr. Melanie Stehle ist für die Einsatzplanung verantwortlich. Sie schickt die entsprechenden Teams nach Kreta, im optimalen Fall mit ein paar Tagen Überschneidung. Diese Teams wohnen im New Life Resort (NLR), einer Station im Süden der Insel, von wo aus die Tierärzte zu den Gemeindekliniken aufbrechen, um dort zu kastrieren. Sieben Gemeinden haben Verträge mit unserem Verein abgeschlossen und freuen sich über die lösungsorientierte, gute Zusammenarbeit. Um Notfälle oder Tiere, die eine längere Behandlung benötigen, kümmern sich unsere Tierärzte in Zusammenarbeit mit den lokalen Tierärzten.
Meine ersten Tierschutzschritte auf Kreta machte ich in einem Tierheim in Chania. Seitdem hege ich eine Aversion gegen Tierheime, weil sie selten ihrem Sinn gerecht werden. Sie packen Tiere eines riesigen Haufens in einen anderen Haufen, ohne dass sich bei beiden Größen irgendetwas ändert. Es ist eine Umschichtung, selten angenehm für die Protagonisten und an keiner Stelle nachhaltig. Natürlich: es gibt auch Ausnahmen.
Dieses Elend hinter Gittern, das „Verschwenden von Geldern“, gepaart mit keinerlei Veränderung auf den Straßen, hat vor Jahrzehnten zu der Idee des Tierärztepools geführt. Wir verwalten das Elend nicht sondern wir verhindern es!
Um diese Idee durchzusetzen, musste ich hart kämpfen. Inzwischen hat sich der Tierärztepool zu einer Institution entwickelt, an der nicht mehr gerüttelt oder kritisiert wird. Im Gegenteil: immer mehr Gemeinden in Griechenland fragen nach unserer Expertise. In Nordgriechenland inzwischen sogar mehr als auf Kreta (was einer gewissen Erfolgslogik folgt: auf Kreta kastrieren wir seit 25 Jahren, da hat sich die Situation inzwischen entspannt, in Nordgriechenland beginnt erst jetzt ein Umdenken). Diese Ausdehnung unserer Arbeit ruft folgende Zukunftsvisionen auf: Brauchen wir irgendwann in Nordgriechenland auch eine Station? Einen Ort, an dem die Stricke zusammenlaufen. Wo wir unser Equipment lagern, wo ein oder zwei Autos stehen. Wo wir uns um verletzte Tiere kümmern können und wo die überarbeiteten Teams vielleicht mal einen Tag Pause einlegen können. Das Leben aus dem Koffer haben wir jahrzehntelang auf Kreta praktiziert, aber es kostet auch Nerven!
Und schon sind wir bei einem Thema, zu dem ich mich bereits mehrfach deutlich geäußert habe: Tierheime.
Ich möchte und werde niemals mehr ein Tierheim leiten oder die Verantwortung dafür übernehmen. Die gut geführten brauchen unseren Rat eh nicht und die schlecht geführten würden ihn nicht annehmen. Nun ist aber oft der OP-Raum, der uns zur Verfügung gestellt wird, in einem Tierheim oder sehr nah daran angeschlossen. Und schon wird die Trennung schwer. Operieren Sie mal im Winter in einem warmen OP-Raum und beobachten durch das Fenster, wie die kurzhaarigen Hunde in ihren kahlen Betonzwingern bei Minustemperaturen vor sich hin frieren und im schlimmsten Fall sogar erfrieren. Das geht gar nicht!
So gehen wir mit dem ersten Schnitt in solch einem Tierheim-OP unverzüglich eine Bindung ein, auf die ich gerne verzichten würde. Kann ich aber nicht. Demnach müssen wir eine Balance finden zwischen dem „Kümmern um das Leid vor Ort“ und dem „Verhindern von Leid“ durch eben unsere Kastrationen. Das hat an einigen Orten bereits zu Wut, Tränen und im schlimmsten Fall sogar zu einem Aufgeben geführt. Mit Letzterem ist aber keinem geholfen, am wenigsten denen, die nichts dafür können. Und so werden wir an manchen Stellen regelrecht missbraucht, ohne dass wir uns wehren können.
Aber wie kommen wir aus dieser Nummer raus? Es ist der stete Tropfen. Wir fahren hin. Immer und immer wieder. Wir reden mit den Verantwortlichen. Immer und immer wieder. Wir nehmen Einfluss auf die Unterbringung der Tiere. Zur Not machen wir mit unseren eigenen Leuten das Tierheim winterfest. Oder finanzieren das Stroh oder die Wassernäpfe. Wir versuchen, die schlechte personelle Besetzung des Tierheimes zu verändern. Wir übernehmen Kosten für Notfälle, fehlende Medikamente oder medizinisches Equipment. Wir schreien nicht oder beschuldigen, sondern wir zeigen so ruhig wie eben möglich, dass es auch anders gehen kann. Und besser.
Und irgendwann kommt der Tag, da fragt die Stadt Heraklion, ob wir nicht einen Tierarzt für ihr Tierheim haben. Oder die Stadt Veria überträgt die Leitung ihres Tierheimes einem Tierschützer, der bereits seit Jahren einen großartigen Job in und um Veria für Straßentiere gemacht hat und der eng mit uns zusammenarbeitet. Der wundervolle Pläne hat, die sicherlich mit unserer Hilfe zu einem Erfolg führen können.
Und in diesem Moment war und bin ich, trotz meines Pessimismus mit Tierheimen, nicht in der Lage, nein zu sagen.
So arbeitet Dr. Julia Ricken seit Anfang des Jahres im Tierheim Heraklion. So oft sie kann, fliegt sie hin und sieht nach dem Rechten. Sie hat damit begonnen, den Tierbestand auf ein gesundheitlich hohes Niveau zu bringen. Alle Tiere sind geimpft, gechippt und kastriert. Sie hat die Notfälle, die teilweise seit Monaten dort mit Knochenproblemen ausharren mussten, nach Deutschland zu unseren Spezialisten geschickt. Und sie kastriert! Zwar noch nicht so viel, wie ich es gerne hätte, aber die ersten Schritte sind getan. Und glauben Sie mir, das ist alles nicht ganz einfach: zig Genehmigungen mussten eingeholt werden, es fehlten Medikamente und OP-Equipment, die zur Verfügung gestellten Gelder sind schnell verbraucht und und und. Wenn die Kastrationen den Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden, und sie dabei ein wachsames Auge auf einen artgerechten Umgang im Tierheim hat, so soll dieser Kombination zwischen Tierärztepool und einem Tierheim von unserer Seite nichts im Wege stehen. Ganz wichtig hierbei ist aber eine Zusammenarbeit mit der Gemeinde, die Vorschläge auch umsetzt, die die Kastrationen als Schwerpunkt anerkennt und die nicht sämtliche Tiere ihrer Gemeinde auf hundert Quadratmeter einpferchen lassen will.
Am 08.09.2023 übernahm Ilias die tierpflegerische Leitung des Tierheims in Veria, Nordgriechenland. Ab 2016 kastrierte Dr. Melanie Stehle dort. Und glauben Sie mir bitte, sie war nach den Einsätzen immer total niedergeschlagen, weil das Tierheim eine Katastrophe war. Wir berichteten des Öfteren von den Missständen, halfen wo wir konnten, aber gegen ein dermaßen träges Personal kamen wir kaum an. Ilias betrieb nicht weit davon ein eigenes, privates Tierheim. Hier war alles perfekt und mir imponierte dieser junge Mann von der ersten Minute an. Ilias hat ein Gespür für Hunde, was nicht viele Menschen umgibt. Er brachte bei jedem Kastrationseinsatz Tiere zur OP. Immer, wenn ein Hund aus dem städtischen Tierheim in absolut miserablem Zustand war, nahm Ilias ihn mit und päppelte ihn mit seiner erlernten, medizinischen Kompetenz und/oder unter der Anleitung von Melanie wieder auf. Wenn er doch bloß mehr Einfluss auf das städtische Tierheim nehmen könnte. Sieben Jahre später hat die Stadt Veria verstanden, dass sich was ändern muss. Der Druck von sämtlichen Tierschützern der Umgebung auf die Gemeinde war inzwischen zu hoch geworden. Sie schloss im September dieses Jahres den Vertrag mit Ilias, dass er die pflegerische Leitung übernehmen kann. Wir werden Ilias jegliche Hilfe zusichern, können aber zur weiteren Entwicklung noch keine Auskünfte geben. Dazu ist alles noch viel zu frisch.
Vor 25 Jahren konnten die zur Verfügung stehenden Gelder unseres Vereines nur dies ODER das bezahlen. Wenn überhaupt. Demnach war es extrem schwer, sich für Kastrationen zu entscheiden, während hungrige Seelen durch den Maschendraht um Futter bettelten. Dank eines inzwischen sehr groß gewordenen Vereins und dank Ihrer Hilfe, müssen wir heute nicht mehr abwägen. Wir schaffen beides. Und schauen wir mal, wo wir in 25 Jahren stehen.
Danke, dass Sie mir und uns diese immense Last von den Schultern genommen haben und treu an unserer Seite bleiben.
Ihr Thomas Busch