Die Einbahnstraße
Von Valentina Schuster, Tierärztin
Hallelujah — nach drei Jahren Bearbeitungszeit trudelte zum Jahreswechsel meine griechische Arbeitserlaubnis und somit das GO für die Projekte in Griechenland ein. Große Freude, Neugier und Reiselust mischten sich mit Tatendrang und ruckzuck stand der Plan für meinen ersten Einsatz auf Kreta: drei Monate Kastrationskampagnen und medizinische Versorgungen von Hunden und Katzen, drei Monate im Dienste der streunenden Tiere und derer, die sich um sie kümmern.
Dazu, dass ich von der mythenumwobenen Insel des Zeus sofort begeistert war, trugen vom Moment der Landung an die Blüten und Düfte des kretischen Frühlings bei; die würzige, milde Luft, die gelb blühenden Wiesen, das strahlende Blau des Meeres. Im NLR angekommen wurde ich von Marga in die Gepflogenheiten auf Kreta („Immer am äußerst rechten Straßenrand fahren”), die organisatorischen Abläufe („Erst mal Gerlinde fragen“) und die Eigenheiten der ansässigen Hauskatzen („Achtung, der beißt!“) eingeführt und mir brummte bald schon der Kopf…
Wie sollte ich mir die ganzen unterschiedlichen Namen und Protokolle nur merken?
Aber zum Zweifeln blieb absolut keine Zeit, denn gleich am nächsten Morgen startete die Kastrationskampagne und die nächsten zweieinhalb Wochen arbeiteten wir von morgens bis abends durch. An den langen Tagen im OP, auf den Fahrten quer über die Insel und durch die externen Hilferufe durfte ich schon viele der Teammitglieder und der mit uns vor Ort arbeitenden Tierschützer kennenlernen, die mich als Neuling vom ersten Tag an alle bestmöglich unterstützt und sehr herzlich integriert haben. Von der Arbeit an sich möchte ich hier nicht berichten und auch das Schicksal der Tiere findet an anderer Stelle Beachtung. Ich möchte in meinem ersten Kretabericht auf die wunderbare Gemeinschaft eingehen, die sich teils physisch, teils eher virtuell zusammenfindet, an ein und demselben Strang zieht und wirklich was bewegt.
Die Arbeit des Vereins ist vor allem auf die Kastrationskampagnen ausgerichtet, die eigentlich immer gleich ablaufen, die Strukturen in den jeweiligen Gemeinden sind klar, die Verantwortlichkeiten gut geregelt - dies sind für mich als Tierärztin perfekte Voraussetzungen dafür, mich voll und ganz auf die tatsächliche tiermedizinische Arbeit konzentrieren zu können. Jeden Tag, den ich länger auf Kreta leben und arbeiten darf, lerne ich aber auch, dass es eine unglaubliche Anstrengung und Ausdauer gebraucht hat, um genau diese paradiesischen Umstände zu schaffen, denn die griechischen Landsleute, Gesetze und Geografie standen unserer Arbeit ja nun nicht immer nur wohlgesonnen gegenüber…
Was treibt einen also an, trotz Gegenwind und einer holprigen Straße den einen Weg immer weiterzugehen, nicht umzudrehen, abzubiegen oder stehenzubleiben? Natürlich eine klare Vision und eine gut formulierte Mission, aber vor allem sind es doch gleichgesinnte Menschen, die diesen Weg begleiten. Ich bin absolut begeistert davon kennenzulernen, welch große Manpower die ganze Zeit über auch eher „hinter den Kulissen” superengagiert ist: organisiert, schreibt, postet, sucht, bestellt, plant, fährt, bucht, kümmert, bespricht, repariert und denkt.
Wer fährt nächsten Monat nach Tsivaras? Kennt jemand jemanden, der ein blindes Kätzchen aufnehmen würde? Wo kriegen wir das Medikament her? Gibts Flugpaten nach Frankfurt im Mai? Kann jemand versuchen, das verletzte Kätzchen in einem Strandhotel einzufangen? Wer bringt Lotti zum Flughafen? Finden wir ein Zuhause für den armen Hund aus dem Tierheim in Ierapetra? Es gibt so viele Dinge, die geregelt werden müssen und wunderbarerweise gibt es für jedes Problemchen einen Ansprechpartner in unserem Team und weil alle „wollen“, finden sich Lösungen für die noch so kniffligsten Fälle.
Auch über den Verein hinaus habe ich viele Tierschützer unterschiedlichster Nationalitäten kennengelernt, bin von deren Engagement und Durchhaltevermögen beeindruckt und sehr froh, sie mit Rat und Tat unterstützen zu können.
Wie könnten wir uns auf die Operationen konzentrieren, wenn wir uns nicht darauf verlassen könnten, dass der Kampagnentag von der Ankunft der Tiere bis zur Verpflegung des OP-Teams durchorganisiert ist?
Wie könnten wir nachts ruhig schlafen, ohne zu wissen, dass sich jemand um die frisch operierten Tiere kümmert?
Wie könnten wir kastrieren, ohne dass jemand mit viel Geduld und Ausdauer jede Katze einzeln per Falle einfängt?
Wie könnten wir Erfolg haben, ohne dass jemand mit noch viel mehr Geduld und Ausdauer die Menschen vom Sinn und Zweck unserer Arbeit überzeugt?
Wie könnten wir kranken und verletzen Tieren helfen, ohne ein Netzwerk von Tierschützern, die mit Hingabe päppeln, salben, kraulen?
Wie könnten wir Tieren die Arche-Chance auf ein neues Leben in einem neuen Zuhause geben, ohne die Unterstützung der Pflegestellen in Deutschland?
Seit 2017 bin ich nun schon im Tierschutz engagiert und habe viele für diese Arbeit wichtige Fähigkeiten und Erfahrungen gesammelt, Tiere und Menschen kennengelernt, in Abgründe geblickt. Wie in einer Einbahnstraße gibt es kein Stoppen und kein Umkehren mehr, denn ich weiß, wie viel Gutes und wie viel Veränderung mit dieser Tätigkeit einhergehen.
Liebes Team, liebe Gleichgesinnte und liebe Unterstützer, ich bin baff, beeindruckt und bewegt von dem, was die Arbeit im Tierärztepool bedeutet, von dem, was wir zusammen leisten und dass wir, so unterschiedlich wir auch sind, als Gemeinschaft funktionieren. Ich gehe die Einbahnstraße gerne mit euch und habe Lust aufs Weitermachen!
Eure Valentina