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Ein nicht ganz perfektes Katzenzimmer

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle, Tierärztin

So viele waren es noch nie. Sie fanden auf den unterschiedlichsten Wegen zu uns. Egal, ob sie uns zu den Kastrationstagen gebracht wurden oder ob Touristen den Notfall meldeten – sie alle einte eine gemeinsame Tatsache: sie benötigten dringend Hilfe. Kranke, verletzte, dem Tode oft nahe und dadurch geschwächte Katzenkinder. Ihr Anblick löste schon von jeher eine Traurigkeit und auch Wut in mir aus. Warum um alles in der Welt müssen diese kleinen, unschuldigen Geschöpfe dies alles aushalten? Wo ist hier die Gerechtigkeit? Betäubt von diesem Gefühl, ersticke ich den weiterführenden Gedanken im Keim, dass wir nur einen Bruchteil der Kätzchen sehen, die tatsächlich Hilfe benötigen.

Katzenkinder, die, natürlich ungeimpft, mit dem sogenannten Katzenschnupfen zu kämpfen hatten. Die Viren entzünden die Augen, was im Endstadium darauf hinausläuft, dass die Augäpfel zerstört werden. Die Folge: Blindheit.
Da die Zwerge oft noch sehr klein und geschwächt sind und eine Narkose demnach ein großes Risiko darstellen würde, heißt es erstmal: päppeln. Wo? Natürlich in unserer Station, dem NLR - (New Life Resort).

Zerstörte Augen waren aber nicht das einzige Problem, mit dem die Zwerge zu kämpfen hatten. Und letztendlich wir.
Penelope kam zu uns mit einem zerfetzten Beinchen. Da der Unfall bereits etwas her war, war das spargeldünne Beinchen unter dem Knie abgestorben und baumelte an ihr wie ein welkes Blatt im Wind.

Fabio hatte ein starkes Schädel-Hirn-Trauma erlitten und ist dadurch blind. Er lag in Seitenlage an der Straße im Staub als unsere Assistentin Gerlinde ihn fand. Mitten in der Nacht erfolgte seine Stabilisierung und Notfallversorgung.
Eine etwas größere Katze, aber trotzdem noch sehr jung, Luna, kam mit Atemnot zu uns. Einschläfern hieß die Diagnose einer ortsansässigen Kollegin, womit diese auch gar nicht so falsch lag. Aber der Wille unsere Tierärztin Valentina, den Zwerchfellriss unter den gegebenen Umständen zu operieren, war größer. Und was passierte? Luna geht es prächtig und sie ist bereits vermittelt.

So wie die anderen Kinder auch. Sie alle blieben wochenlang unsere Gäste, tobten in den Außenausläufen nach ihrer Operation und bis zur Heilung und belebten unser „nicht ganz perfektes Kinderzimmer“. „Nicht ganz perfekt“ deshalb, weil wir Menschen uns bei den Tieren etwas abschauen können. Zwar war keiner der Zwerge körperlich stabil, aber dennoch spielten, tobten, kuschelten sie miteinander, dass ein Unbeteiligter beim flüchtigen Hinsehen überhaupt nicht erkannt hätte, dass alle schwer verletzt waren. Niemand wurde ausgegrenzt, verspottet oder sogar verachtet.

Und mitten drin mein Sohn Samuel. Er hatte mit seinen 12 Jahren darum gebeten, die Pflege „seiner“ Rasselbande zu übernehmen. Jeden Tag stand er morgens sehr früh mit auf, zeigte mir jede noch so kleine Veränderung bei seinen Freunden und begleitete mich abends bei jeder Visite.
Sein größter Wunsch war, dass Pumuckl zu uns nach Deutschland kommen dürfte. Pumuckl hatte nämlich noch keine neuen Besitzer gefunden. Wenn es nach Samuel gegangen wäre, hätte es zwar eine komplette Transplantation eines Katzenauslaufes von Kreta nach Bayern geben können, aber seine Lieblingskatze konnte ich ihm (und mir) nicht verwehren. Und Pumuckl ist zudem nur zauberhaft! Und wer hätte anfangs gedacht, dass unter den Eiterkrusten noch intakte Augen zum Vorschein kamen. Jede Mühe hat sich ausgezahlt und Pumuckl kann sehenden Auges die Welt erkunden.

Ihre Melanie