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Gemeinsam

von Lisa Holl, Assistenz

Es ist mitten in der Nacht. Ich versuche, mich umzudrehen und bemerke kleine Katzenpfoten an meinen Füßen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, denn wir liegen beide – Pfote an Zehen – fast nebeneinander. Stören möchte ich dich nicht und halbschlafend nehmen meine Gedanken ihren Lauf. Es war einmal… fangen so nicht immer die schönen Märchen an? Es war einmal eine Kastrationsaktion…

Und du bliebst übrig. Dieses „Übrigbleiben“ ist so obligatorisch, wie das Packen unseres medizinischen Equipments vor jedem Einsatz. Was aber vorher nie geklärt werden kann, weil wir einfach nicht wissen, was am Ende auf uns zukommt, ist die Frage, was geschieht mit all den Notfällen, wenn das Team wieder abreist?

Organisatorische Schwierigkeiten fallen immer an – in diesem riesigen Kreislauf aus Emotionen, gerade am Ende einer Kastrationsaktion. Wo kann der Notfall untergebracht werden? Wie schwer ist seine Verletzung? Kann eine Assistenz des Tierärztepools damit umgehen oder muss ein Tierarzt in der Nähe sein? Steht später eine weitere OP an? Und, und, und. Jeder im Team trägt hier eine wichtige Rolle bei und versucht nach seinen Möglichkeiten zum Gelingen des Großen und Ganzen beizutragen. Emotionsgeladen und schlaftrunken kommt es mir in dieser Nacht so vor, als wäre die Betreuung von all denjenigen die „mehr“ von uns benötigen, wichtiger und anstrengender als 14 Tage Dauerkastrieren. Du bist eine von diesen „Mehr“. Viel zu schwach, viel zu klein, viel zu krank, um dich durch eine Kastration davon zu befreien, später unendlichen Nachwuchs versorgen zu müssen.

Ich bin nach dem Einsatz in Nordgriechenland geblieben. Ich brauche Ruhe und möchte noch ein wenig das schöne Wetter genießen. Aber ich muss aufpassen, denn diese Ruhe kann auch ein Gefühl des Alleinseins vermitteln. Gerade nach den Tagen des absoluten Gewusels im großen Team. Plötzlich, als hätte man einen Schalter umgelegt, sind alle weg und das Elend und ich sind übriggeblieben. Ich habe die Verantwortung dir gegenüber auf mich genommen und suche die noch fehlende Perspektive. Wohin mit dir, wenn du überlebst? Kann ich dir gerecht werden, dir alles bieten, was du zu deiner Heilung brauchst? Ich bin selber noch platt und erschlagen von den Kastrationstagen, habe wenig Ressourcen, wenig zu geben.

Unser Zusammenleben gestaltet sich erstmal schwierig. Du bist so klein und dazu noch so krank. Es fällt dir schwer mir zu vertrauen. Wie denn auch? In diesem wackligen Konzept muss ich dir alle zwei Tage ein Antibiotikum spritzen. Du beginnst dich vor mir zu fürchten und auch mir fällt das alles nicht leicht. Ich möchte dir helfen, dich unterstützen aber deine Antwort darauf ist mehr als verständlich. Ich mache mir große Sorgen, denn ich kann dir nicht erklären, warum ich dir wehtun muss. Obwohl wir nicht gerade an einem Strang ziehen, spüre ich, dass da was wächst. Ich beginne, dich zu lieben, was eigentlich verboten ist, denn wir werden uns wieder trennen müssen. Falls du überlebst. Dieser Gedanke zieht mich noch weiter runter, obwohl ich natürlich weiß, dass wir nur eine Lösung auf Zeit sind.

Und in diesen Momenten – auch wenn wir in den nächtlichen Stunden alleine sind – ist der doppelte Boden spürbar. Das Netz des Tierärztepools umspannt jeden, der Hilfe braucht. Ob Helfer oder Tier. Ob nachts oder tagsüber. Ob in Griechenland oder sonstwo. Immer ist jemand erreichbar, der sich meine Sorgen anhört. Mit Melanie, Antonia oder Thomas gehen wir gemeinsam alle zukünftigen Möglichkeiten für dich durch. Auch Rabea und Lisa aus dem „Team ACE“ unterstützen mich, wo sie nur können.

Und so ist aus dem kleinen, kranken, zarten, hilflosen Notfall eine stabile, junge Katze geworden, die gerade ihre Pfote an mich drückt und Kontakt sucht. Die Zeit verging wie im Flug und trotz der Spritzen wurden wir zu einem Team.
Wenn die Sonne aufgeht und den Olymp anstrahlt, werde ich diese Gedanken aufschreiben. Du wirst dann auf meinen Schoß krabbeln, schnurren, dich einrollen und mit dem liebevollsten Einauge zu mir hochschauen, um mir mit diesem unverwechselbaren Blick Danke zu sagen. Ich werde dahinschmelzen, dich streicheln und jeden bedauern, der so etwas Wunderbares noch nie erlebt hat.

Dein Weg ist zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht zu Ende. Mein nächster Einsatz wartet. Ich nehme dich einfach mit. Deine Augenoperation und die Kastration schaffen wir gemeinsam und ich bin gespannt, was das Team sagen wird. Sie werden dich nicht wiedererkennen, denn du bist zu einer wunderschönen, jungen Katze geworden - ich bin sehr stolz auf dich!

Leider ist deine Vermittlung mit vereinten Kräften schon in vollem Gange und so heißt es für uns bald – lebe wohl. Ich freue mich so sehr für dich, dass du bald ankommen darfst!

Ein langes, glückliches Leben ohne Schmerz und Leid wartet auf dich. Und ich… ich sitze hier und bin unendlich dankbar. Für unser „Gemeinsam“ Tag für Tag.
Und ein Teil von alldem sein zu dürfen.
Deine Lisa