
Sieben und Fünf ist Fünfzehn
Sunas Geschichte ist so abstrakt und verworren, dass ich sie anzweifeln würde, hätte ich sie nicht selbst vor meiner Haustür miterlebt. Niemals hätte ich gedacht, dass alle beteiligten Kätzchen überleben würden - das ist sicherlich auch der absolut professionellen Betreuung durch die Tierschützerinnen und der Tierklinik geschuldet. Aber ich erzähle besser von Anfang an…
Wir befinden uns in einem kleinen bayrischen Dorf. Suna wurde schon seit einigen Monaten von einer Familie im Garten gefüttert, in der Annahme, dass sie vom nahegelegenen Bauernhof stammt. Kurze Zeit später warf Suna in diesem Garten sieben Katzenwelpen - eine beeindruckend hohe Zahl. Suna versorgte in den ersten Tagen ihre Welpen vorbildlich, musste aber bei sieben hungrigen Katzenkindern Höchstleistungen vollbringen. Ihr Stoffwechsel entgleiste und die besorgten Gartenbesitzer brachten Suna in die Tierklinik. Fieberkrämpfe plagten die überlastete Mama und ihr Zustand war sehr kritisch. Zeitgleich mussten sieben hungrige Katzenwelpen alle zwei Stunden mit der Flasche gefüttert werden. Sie ahnen was das bedeutete, nämlich, dass eine Mitarbeiterin der Tierklinik permanent mit der Betreuung der winzigen Katzenkinder beauftragt war, während Suna um ihr Leben kämpfte. So ernst war die Situation inzwischen geworden.
Nun kam ich ins Spiel. Zufälligerweise sind wir ebenfalls vor einigen Jahren in dieses bayrische Dorf gezogen und es hatte sich herumgesprochen, dass sich der Tierärztepool - sicherlich in einem anderen Maße als im Ausland - auch für bedürftige Katzen in der Region einsetzt. So bietet der Tierschutzverein „Tierschutz - Hilfe vor Ort e.V.“ in Kooperation mit uns an, Katzen zu kastrieren. Seit vielen Jahren versuchen wir, jegliches Leid zu verhindern, bevor es entsteht. Auch in Deutschland. Jetzt hatte ich eine verzweifelte, weinende Gartenbesitzerin am anderen Ende der Telefonleitung, die nicht wusste, wie sie mit der neuen, achtköpfigen Katzenfamilie und den entstandenen Kosten umgehen sollte. Sie bat um Hilfe.
Suna hatte eine schmerzhafte, fiebrige Gesäugeentzündung und viele Mütter wissen, wie höllisch weh das tut. Folglich war auch nicht mehr daran zu denken, die sieben hungrigen Mäulchen an die Zitzen der Mama anzulegen. Es gab nur eine Lösung: die sieben mussten mit der Flasche großgezogen werden. Die ersten Wochen alle zwei Stunden - Tag und Nacht.
Jetzt kamen die wahren Helden der Geschichte zum Einsatz. Denn sie erklärten sich aufopferungsvoll bereit, dieses ehrenamtliche Engagement zu übernehmen. Ich spreche von Sonja Limmer und Jenny vom Tierschutzverein „Tierschutz - Hilfe vorOrt e.V.“.
Sie übernahmen Suna und die Kitten aus der Tierklinik, kümmerten sich um die Abgabe- und Übereignungsbürokratie und begannen mit vollem Einsatz, um die Leben der Kleinen zu kämpfen. Wiegen, füttern, Bauch massieren, warm halten, bangen und hoffen, falls sich eines der Kleinen nicht so entwickelte wie gehofft. Sunas Zustand stabilisierte sich, doch ihre Leidensgeschichte sollte noch nicht zu Ende sein. Aus der Gesäugeentzündung wurde ein Gesäugeabszess, der unter großem Abfluss von Eiter seinen Höhepunkt fand. Suna musste in Narkose gelegt und das Gewebe versorgt werden. Endlos viele Medikamente begleiteten ihre langsame Genesung. Nach und nach stabilisierte sich ihre gesundheitliche Lage und Sonja und Jenny hatten es geschafft, dass alle sieben Kitten überlebten.
Vier Wochen später kastrierte ich Suna. Nachdem die Abszesse abgeheilt waren, sie völlig gesund und wieder mit ihren Welpen zusammen war, saugten sie noch gelegentlich an ihren Zitzen. Das hatte dementsprechend zur Folge, dass sie noch ein bisschen Milch produzierte.
Doch ein Drama kommt selten allein. Seit zwei Monaten stand Sonja mit einem Firmenbesitzer in Kontakt, der Hilfe bei der außer Kontrolle geratenen Katzenpopulation erbat. Aus verschiedenen Gründen konnte er die vereinbarten Kastrationstermine nicht einhalten. Während ich die noch schlafende Suna in ihre Aufwachbox legte, stellte jemand fünf kleine Katzenkinder an der Rezeption ab. Die Mutter wäre gerade überfahren worden und Sonja würde sie aufpäppeln. Die Sprachnachricht von Sonja schaffte Aufklärung: „Melanie, wundere Dich nicht, es wird jemand fünf Katzenbabies in der Praxis abgegeben. Ich werde sie übernehmen“.
„Nicht schon wieder“, denke ich und spüre, wie Wut in mir hochkocht. Es ist hier ja wie auf Kreta.
Warum konnten die Katzen nicht rechtzeitig zur Kastration gebracht werden? Wir bieten es doch permanent an. Soll ich diese Menschen in Schutz nehmen, weil sie es nicht besser wissen? Nein, denn durch ihre Unbedachtheit leiden Tiere und andere Menschen müssen die Konsequenzen - in fünffacher Form - ausbaden. Die sich nämlich nächtelang für die unschuldigen kleinen Wesen einsetzen, damit sie nicht leiden müssen. Umso mehr zolle ich Sonja und Jenny meinen allergrößten Respekt!
Während Jenny mit müden Augen Suna und die fünf zusätzlichen Nachtzerstörer aus der Tierarztpraxis abholte, quälte Sonja die Erinnerung, dass immer von sieben Katzenbabys gesprochen wurde. Warum wurden nur fünf in der Klinik abgegeben? Irgendetwas war komisch und wer seit Jahrzehnten im Tierschutz arbeitet, hat einen siebten Sinn.
War es also möglich, dass zwei Babys übersehen wurden und jetzt qualvoll verhungerten? Und wer seit Jahrzehnten im Tierschutz arbeitet, erträgt solche Gedanken nicht. Also begann die Suche.
Und tatsächlich wurden die beiden hinter einer Fassade gefunden.
Somit findet die Geschichte mit dem Anfang ihr Ende. Alles wurde auf Neustart gesetzt und die nächsten Nächte mit einem alle zwei Stunden klingelndem Wecker begonnen. Glücklicherweise half Suna als Leihmama mit. So gut sie konnte, bedankte sie sich für ihre Genesung und damit für ihre Rettung.
Alle 15 Tiere sind inzwischen vermittelt. Die Impfungen, Entwurmungen und die Vollpension im fünf-Sterne Paradies von Sonja und Jenny wurden von den beiden getragen.
Selbstverständlich sind die neuen Besitzer gründlich ausgesucht worden und mussten sich verpflichten, die Zwerge im entsprechenden Alter kastrieren zu lassen.
Danke Ihr Beiden für eine großartige Zusammenarbeit!
Eure Melanie