Epanomi Herbst 2020
Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle | Tierärztin
Es ist September. Die hochsommerlichen Temperaturen der letzten Monate befinden sich in Griechenland in den letzten Zügen. Wir wagen trotz des Corona-Komas den jetzigen Kastrationseinsatz in Angriff zu nehmen. Wie schon so viele Male in diesem Jahr packe ich unser Equipment ein. Dieses Mal in der Hoffnung, es auch wirklich erst dann wieder auszupacken, wenn wir am Einsatzort sind. Wenn wir endlich wieder unsere Arbeit machen können, worauf wir, und vor allem die Tierschützer vor Ort, so lange gewartet haben.
So reisen wir alle ohne Komplikationen an. Erstaunlich in dieser Zeit, aber irgendjemand scheint es gut mit uns zu meinen. Als wären wir nie fort gewesen, setzt nach der Landung sofort ein Automatismus ein, der mich fasziniert, verzaubert und gleichzeitig mit Adrenalin füllt. Es ist wie ein Nachhausekommen, wo die Familie schon lange auf einen wartet. Aber all das rauscht an mir vorbei. Ich nehme es wahr, freue mich riesig, merke aber, wie sich die Anspannung in mir ausbreitet. In den nächsten Tagen dürfen mir und meiner Assistentin Sabrina keine Fehler passieren, wir dürfen nichts übersehen, nicht eine Sekunde unkonzentriert sein. An unserem Tun hängen Leben, unschuldige Leben und wir sind hier, um sie zu verbessern, nicht auszulöschen. Ich weiß, dass wir erst wieder in den Normalmodus umschalten können, wenn der Einsatz beendet ist.
Jetzt wird hier alles Erforderliche vorbereitet und aufgebaut. Innerhalb kürzester Zeit können wir das tun, worauf wir alle hingearbeitet hatten. Endlich! Wir beginnen mit den Kastrationen.
Immer wieder ertappe ich mich früh morgens auf dem Weg zum Tierheim, wie mein Blick über die Felder schweift, ich am Horizont hinter der Meerenge den Olymp entdecke und das Bedürfnis verspüre, durch die Landschaft zu wandern und die Gegend zu erkunden. Einfach mal gemütlich in einem Café zu sitzen und sich von der Musik berieseln zu lassen. Doch die Vergangenheit lehrte mich, dass nicht jeder Spaziergang mit Glücksgefühlen gefüllt wurde, nicht jeder Café-Besuch die erhoffte Entspannung mit sich brachte. Es sind die angeketteten Hunde am Wegesrand. Sie bewachen einen Weg, auf dem es weit und breit nichts zu bewachen gibt. Deren trostlose Situation zum Himmel schreit und mir das Winseln beim Weitergehen das Blut in den Adern vor Wut und Hilflosigkeit gefrieren lässt. Es ist die Katzenmama im Café, die nach Futter sucht, während ihre von Katzenschnupfen geplagten Kinder mit verklebten Augen auf sie warten. Heute sind es sieben Katzen, im nächsten Frühjahr mindestens doppelt so viele. Wenn hier nicht jemand mit Kastrationen gegensteuert, ist die nächste Vergiftungsaktion so sicher wie das Amen in der Kirche. Ein entsetzlicher Tod und der Kreislauf beginnt von Neuem. Für mich sind das zutiefst traurige Erfahrungen, die alle aufkommenden Emotionen in einem Willen bündeln, der stärker ist als alles andere. Ein Wille, der mich in den OP zieht und den ich erst wieder verlassen möchte, wenn die Sonne längst untergegangen ist und meine Hände um Ruhe bitten.
Und genauso wird es die nächsten Tage auch sein.
Ich bin zutiefst dankbar, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Meine Kraft an einer Stelle einbringen zu können, die effektive Hilfe möglich macht. Aber genau dafür brauchen wir ein starkes Team, das genau die gleiche Motivation und Einstellung hat. Mit A.C.E.- Tiere in Not e.V. haben wir Gleichgesinnte kennen und lieben gelernt. Wir schätzen die positive Energie und das Engagement von Hannelore, Nicole, Sabine und ihrem ganzen Team. Ihre Professionalität, wie sie Tierschutz betreiben, liegt auf extrem hohem Niveau.
Thomas schrieb vor Jahren in einem Bericht, dass das Tierheim von A.C.E. das Beste ist, das er bis dahin kennenlernen durfte. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Parallel zum Tierheimbetrieb wurden mindestens drei Mal im Jahr Kastrationsaktionen durchgeführt. Die Wichtigkeit dieser Arbeit ist allen bewusst und bisher lief diese Parallelität auch sehr gut. Aber die Zeiten änderten sich. Durch Corona ist der Hauptsponsor von A.C.E. in eine massive Schräglage geraten und musste die großzügige Hilfe einfrieren. Damit war von einem Tag auf den anderen alles infrage gestellt. Wie soll man Kastrationsaktionen finanzieren, wenn es gerade mal reicht, um den Tierheimbetrieb aufrechtzuerhalten?
Liebe Tierfreunde, ich arbeite nun schon seit zehn Jahren für den Tierärztepool. Ich weiß sehr gut, wie Thomas versucht, alles zusammenzuhalten, wie er jeden Cent zweimal umdreht und ihm primär die Arbeit auf Kreta am Herzen liegt. Aber wenn ein Partnerverein, der sämtliche Kastrationsaktionen in der Vergangenheit finanziert hat, plötzlich nicht mehr kann, dann müssen wir helfen. Ich sehe eine kleine Hündin, die beim letzten Einsatz um ihren toten Welpen trauert, ich sehe das Hundekind Chito, der vor den Zug geraten war und dem wir nur durch eine Kette von helfenden Händen das Leben retten konnten. Ich fahre mit meinen Gedanken die Straßen von Epanomi ab und würde mich schämen, wenn ich mein leises Versprechen nicht einlösen könnte. Ich versprach, wiederzukommen! Und zwar so lange, bis keine Hunde mehr auf der Straße ein tristes Leben führen müssen, bis die Tierheime nicht mehr überquellen und bis es keine Welpen mehr in irgendwelchen Hecken gibt.
Das darf nicht sein. Das kann ich unmöglich zulassen. Und was spricht dagegen, wenn der Förderverein sich weiter öffnet? Wenn wir hier auf deren Situation hinweisen und die Kastrationsaktionen mitfinanzieren? Warum sollen wir nicht Geld sammeln und es A.C.E. weiterleiten? Zumindest so lange, bis A.C.E. keine Hilfe mehr braucht.
Ich schreibe auch Berichte, ich mache Fotos, ich versuche hilfsbereite Menschen auf dieses tolle Projekt aufmerksam zu machen. Ich möchte die Homepage nutzen, Facebook, Instagram und was es noch so alles gibt. Ich möchte, dass die Gelder zusammenkommen und wir mindestens zweimal im Jahr nach Epanomi reisen können.
Ein so wundervolles Projekt darf nicht sterben. Und ich möchte keine Versprechen geben, die ich nicht halten kann.
Ihre Melanie
Partner
Dieses Projekt führen wir gemeinsam mit dem Verein "ACE Tiere in Not e.V." durch, der auch die Finanzierung sicherstellt.
A.C.E.- Tiere in Not e.V.
Sparkasse Neu-Ulm
IBAN: DE41 7305 0000 0441 2684 89
BIC: BYLADEM1NUL
Helfen
Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!
In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.
In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:
Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer
TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de