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Kapverden Winter 2023/24

Ein Text von Dr. Marga Keyl, Tierärztin

Im Dezember 2023 leitete ich eine zweiwöchige Kastrationsaktion auf Sal. Wie Sie wissen, bestehen die Kapverden aus mehreren Inseln und unterschiedliche Vereine helfen wo sie nur können. Kollegial, wie ich finde. Die einzigen, die sich nicht oder kaum beteiligen, sind die Verantwortlichen der Gemeinde. Traurig, aber ein Fakt. Leider weiß ich, wie die Dinge dort laufen, ist Sal doch fast so etwas wie eine zweite Heimat für mich. Ich weiß, an wen ich mich wenden muss, wenn es mal nicht so läuft wie geplant. Also immer. Wir sprechen hier von Afrika. Ohne den ortsansässigen Verein OSPA, der auf Sal auch ein Tierheim betreibt und Hunde nach Europa vermittelt und glücklicherweise regelmäßig in sogenannten mobilen Kliniken Hunde entwurmt und entfloht, hätte ich vielleicht schon aufgegeben.

Bei dieser Aktion war meine Kollegin Sarah dabei, die in Zukunft hoffentlich auch für den Tierärztepool arbeiten wird und sich dementsprechend in der Ausbildung befindet, das Operieren am Fließband zu erlernen. Wir waren bereits zusammen in Praia, der Hauptstadt der Kapverden und auch auf Kreta. Ich weiß, dass die Kapverden Sarah nicht abschrecken können, weil sie trotz des oft herrschenden Chaos auch so viele schöne Seiten haben.

Dass wir von morgens bis abends kastrieren, das wissen Sie bereits. Ich möchte daher gar nicht so viel auf den Kastrationsalltag eingehen, sondern vielmehr das eine oder andere Einzelschicksal hervorheben, das die Situation der Menschen und der Tiere auf Sal verdeutlicht.

An Tag eins operierten wir in Palmeira, dem kleinen Fischerort im Westen der Insel. Uns wurde eine Hündin gebracht, die angeblich trächtig sei, doch sie blutet seit drei Tagen. Warum sind die Leute nicht schon längst zum Tierarzt gegangen, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Die einzige Tierärztin wohnt im Süden der Insel, Taxis sind teuer für die einheimische Bevölkerung und anders kommt man mit einem Hund dort nicht hin, wenn man selbst keinen fahrbaren Untersatz hat. Vielleicht wussten diese Leute auch gar nicht, dass es eine Tierärztin in Santa Maria gibt und das Geld für die OP hatten sie bestimmt nicht. Doch sie hörten, dass wir da sind und brachten die Hündin sofort. Zu Fuss! Während der OP stellte sich heraus, dass die Gebärmutter an drei Stellen perforiert war und blutete. Sowohl in die Bauchhöhle als auch in die Gebärmutter. Alles war brüchig und entzündet. Ob die Ursache des Ganzen ein Autounfall oder Tritte von Menschen waren, war nicht ganz klar ersichtlich. Fakt ist, dass diese Hündin ohne uns mit Sicherheit verblutet wäre und in diesem Fall einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, was ihr das Leben gerettet hat.

An Tag zwei wurden uns drei winzige Katzenwelpen gebracht, sie waren in einem jämmerlichen Zustand. Viel zu dünn, struppiges Fell, verwurmt und verfloht und bei einer war das Auge so geschädigt, dass es entfernt werden musste. In diesem Zustand konnte ich jedoch bei keiner der Babys eine OP wagen, sie waren so nicht narkosefähig. Sie blieben bei uns in einer großen Hundebox und wurden behandelt und gepäppelt. Nach ein paar Tagen bekamen sie von Birthe (OSPA) noch ein Bad und sahen danach wie neu geboren aus. Unter normalen Umständen würde ich bei so einer kleinen Kreatur das Auge nicht entfernen-doch ich weiß, wenn ich es jetzt nicht mache, dann macht es keiner hier-und das kann zu schweren Entzündungen und aufsteigenden Infektionen des Sehnervs führen. Nach der OP war die Kleine entsprechend geschwächt und mir kam der Gedanke, dass ich vielleicht doch die falsche Entscheidung getroffen hatte. War es zu viel? Würde sie es nicht überleben? Wir nahmen sie mit nach Hause, schön warm eingemummelt in Tüchern und mit Wärmflasche. Ein bisschen Infusion, ein bisschen Soße vom Nassfutter mit der Spritze ins Mäulchen. So schwach war sie. Nur zögernd ging ich ins Bett, stellte mir alle zwei Stunden den Wecker und hatte keine Ahnung, ob sie am nächsten Morgen noch am Leben sein würde. Doch sie zeigte mir, dass sie eine Kapverdianerin ist. Sie kämpfte sich durch, egal wie widrig die Umstände waren. Sie hätten sie sehen sollen, als ich ihr am nächsten Morgen das Nassfutter vor die Nase stellte. Ich habe ein Video, das lässt sich hier leider nicht abdrucken. Gierig verschlang sie alles, was ich ihr vorsetzte und dabei machte sie knurrende und grunzende Geräusche. Ein paar Tage später ging sie mit ihren zwei Brüdern zurück zur ihrer „Finderin“, die sich bereit erklärt hatte, die drei in ihre Obhut zu nehmen.

Ebenfalls an Tag zwei kam Diana mit ihrer Besitzerin in die Klinik. „Unser Hund hat seit fünf Tagen nicht gefressen und stirbt gerade, können wir sie bringen?“ Haut und Knochen mit einem riesigen Bauch, so könnte man Diana beschreiben. Sie war nicht kastriert und hinten lief eine stinkige Brühe heraus. Das war ihr Glück, denn wenn diese Brühe nicht herausgelaufen wäre, wäre Diana schon längst einen qualvollen Tod gestorben.

Nachdem wir sie einige Zeit an der Infusion stabilisiert hatten, legten wir sie in Narkose. Ich hatte die Besitzer informiert, dass sie eine Pyometra hat, eine Gebärmuttervereiterung und dass sie die OP eventuell nicht überleben wird. Aber auch hier hatte ich nicht mit den kapverdianischen Genen dieser Überlebenskünstler gerechnet. Bei der OP trat die größte Pyometra zutage, die ich je operiert hatte. Der gesamte Bauchraum bestand aus flüssigkeitsgefüllter Gebärmutter. Sie wäre geplatzt, wenn die Flüssigkeit hinten gar keine Möglichkeit gehabt hätte, abzulaufen. Diana blieb über Nacht in der Klinik und am Tropf. Als ich am nächsten Morgen den meiner Meinung nach geschwächten Hund aus der Box holen wollte, wurde ich mit einem Knurren begrüßet. Geschnappt hat sie auch nach mir. Ich sah es als gutes Zeichen, das sei wohl ihr Normalverhalten.

Das Futter nahm sie trotzdem an und als ihre Besitzerin ihr später Reste vom Mittagessen der Familie (Nudeln mit Sahnesoße) brachte, war der Appetit vollends wieder hergestellt. Wir gaben sie bald mit nach Hause, da es für Diana dort sicherlich entspannter war – und für uns auch. Regelmäßige Nachfragen ergaben, dass es ihr wunderbar gehe und sie langsam an Gewicht zunehme. Kein deutscher Rassehund hätte so etwas überlebt, da bin ich mir sicher!

Wir haben wieder viel gesehen in diesen zwei Wochen auf Sal. Ein Hund mit einem riesigen Lidrandtumor, der ihm im Gesicht rumbaumelte. Ein kleiner Kater, der eine Nadel mit Faden verschluckt hatte. Die Nadel steckte ihm quer im Rachen, der Faden ging (zum Glück „nur“) bis in den Magen. Hunde mit Tumoren an den Beinen, die viel früher hätten operiert werden müssen. Immer wieder frage ich mich, was aus diesen Tieren wird, wenn wir nicht da sind. Wenn keine Kastrationsaktionen stattfinden.

Doch was am schlimmsten diesmal war, waren die Vergiftungen. Es ist noch nicht klar, wer dafür verantwortlich ist. Tatsache ist, dass weit über 50 Hunde und auch viele Katzen den Vergiftungsaktionen zum Opfer gefallen sind. Am letzten Tag saßen wir im kleinen Team in einem Restaurant, um auf den Erfolg der Kampagne anzustoßen. Minuten später bekam Birthe (OSPA) einen Anruf, ein Hund wurde gerade in ihrer Nachbarschaft krampfend aufgefunden.

Keine fünf Minuten später waren Birthe und ich vor Ort, der Hund war bereits tot. Bisher kamen wir bei jedem Hund zu spät, das Gift wirkt zu schnell. Mit Hilfe der Jungs aus der Nachbarschaft machten wir die Besitzerin ausfindig und brachten ihr den toten Hund. Wenn man auf den Kapverden ist, mag man den Eindruck bekommen, dass die Tiere den Menschen relativ egal sind. Sie sind nicht böse zu ihnen, sie kümmern sich aber auch nicht immer genug. Den Gang zum Tierarzt unternehmen die wenigsten, wenn etwas nicht stimmt. Doch sie lieben ihre Tiere und trotz der Tatsache, dass die meisten Hunde auf der Straße leben, sind sie trotzdem Teil der Familie. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden so weinen gehört. Es war mehr ein Schreien, ein Klagen, wie es in Afrika üblich ist als Ausdruck der Trauer.
Es ging mir durch Mark und Bein und auch ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Als wir nach etwa 10 Minuten die Formalitäten geklärt hatten, waren die Besitzerin und ihre Tochter immer noch laut am Weinen. Während ich zum Restaurant zurück ging, sorgte Birthe dafür, dass der Hund direkt beerdigt wird. Die Klagerufe werden mich mein Leben lang nicht verlassen. Mittlerweile sind weit über 50 Hunde in Santa Maria vergiftet worden. Die Verantwortlichen sind noch nicht ermittelt, das Gift schon. Es handelt sich um Carbofuran, ein Insektizid, welches in vielen Ländern verboten ist. Es ist ein Schock, nach all den Jahren guter Arbeit so einen Rückschritt zu erleben. Von Deutschland aus ist es sehr schwer, etwas dagegen zu unternehmen.

Daher bin ich sehr froh, die Organisation OSPA vor Ort zu wissen, die mit allen Mitteln gegen die Vergiftungsaktionen kämpft und dafür sorgt, dass diese schrecklichen Taten durch Fernsehen und Radio öffentlich gemacht werden. Wir können nur inständig hoffen, dass der oder die Täter bald gefasst werden.

Eure Marga