Sal - wo stehen wir und wie geht es weiter?
Ein Text von Dr. Marga Keyl, Tierärztin
Ich bin Tierärztin und ich liebe meinen Job im Tierschutz. Seit Jahren kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu arbeiten. Doch in meinem Herzen bin ich auch Seglerin. Mein Traum ist es, mit meinem Segelboot einmal die Welt zu umrunden. Dabei liegt es natürlich nahe, auch auf den Kapverden einen Stopp einzulegen.
Seit fünf Jahren habe ich mir ausgemalt, wie es wäre, wenn dort draußen, zwischen den anderen Segelbooten auf der Insel Sal, meine GITANA vor sich hinschaukeln würde. Diesen Traum habe ich mir jetzt erfüllt, Anfang September fiel mein Anker in den weißen Sand der Bucht von Santa Maria.
Noch keine zwei Tage war ich da, schon klingelte das Telefon. „Marga ich habe gehört, dass du hier bist! Vor dem Mercado sitzt ein gelähmtes Kätzchen, kannst du es dir angucken bitte?“ Es war Wochenende und die Tierärztin in Santa Maria nicht erreichbar.
In den ersten paar Tagen behandelte ich schon diverse Notfälle – Hunde, Katzen und ein Pferd. Es ist schön, wieder hier zu sein und gefühlt war ich auch gar nicht weg! Es ist nur etwas komplizierter, die Notfälle zu erreichen, denn ich muss jedes Mal, wenn ich an Land will, in mein Beiboot springen und rüberfahren, das Beiboot an der Pier vertäuen und hoffen, dass die Kinder keinen Schabernack damit treiben.
Die folgende Woche nutzen Birthe, Bella (vom Tierschutzverein OSPA vor Ort) und ich, um die anstehende Kampagne vorzubereiten. Die Mädels hatten schon viel organisiert, wir sichteten das vorhandene Material und sprachen über die Organisation.
Ich hatte diesmal den gesamten Ablauf in die Hände von OSPA gelegt, da die Gemeinde während den letzten Kampagnen sehr unzuverlässig war. Und ich hatte ein sehr deutliches Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gemeinde, in dem ich noch einmal betont habe, was wir erwarten und wo wir Hilfe brauchen – und dass es so wie bisher definitiv nicht weiter geht.
Zur Unterstützung reisten meine Kolleginnen Tanja Schmidt und Sarah Stumpp an. Tanja als OP-Assistenz und Sarah, um in den Kastrationen der Hunde noch einmal routinierter zu werden.
„Brauchen wir wirklich zwei Tierärztinnen während der Kampagne auf Sal?“ fragte Thomas mich kurz vorher in einem Telefonat. „Das sind ja jedes Mal Flugkosten und einen Sponsor für Sal haben wir leider schon lange nicht mehr.“ Nein, eigentlich brauchen wir keine zwei Tierärztinnen hier. Die Insel ist nach der Coronazeit, in der die Hundepopulation explodiert ist, wieder gut unter Kontrolle. Doch Sarah arbeitet inzwischen auch fest für den Tierärztepool und ist nicht hier, weil ich es alleine nicht schaffen würde, sondern damit sie schnell die OP-Routine bekommt, die wir uns alle über Monate und Jahre angeeignet haben.
„Und sind wir nicht eigentlich mal bald fertig auf Sal? Gibt es da noch so viele Hunde?“ Das Straßenbild hat sich deutlich gebessert. Es findet auch in unserer Abwesenheit einmal im Monat ein Kastrationstag in Espargos statt, durchgeführt von Pepe, einem Veterinario Technico, der uns auch bei unseren Aktionen unterstützt. Doch was passiert, wenn man die Massenkastrationen einstellt, das hat uns die Coronazeit gelehrt.
Sal ist auch weiterhin unser „Ausbildungsort“, denn hier fragt keiner nach irgendwelchen Genehmigungen der Tierärzte. Ich selbst bin offizielle Tierärztin auf den Kapverden, doch wen ich noch mitbringe, das interessiert niemanden. Unsere Arbeit wird nach wie vor dankend angenommen.
Wir starteten die ersten vier Tage in den Slums von Terra Boa, nördlich von Espargos. Hier haben wir lange nicht mehr kastriert. Trotzdem scheint die Hundepoplulation gut unter Kontrolle. Die unkastrierten Tiere, die wir gesehen haben, sind alle sehr scheu und misstrauisch und dementsprechend schwer zu fangen. Hier hätte ich mir ein Fängerteam von der Gemeinde gewünscht, das kam aber nicht.
Doch auffällig war die Katzenpopulation. Diesen Trend sehen wir seit einigen Jahren, es werden immer mehr Katzen zur Kastration gebracht. Meist sind es private Katzen, doch auch von den Farmen konnten wir einige fangen und ebenfalls in den Straßen von Terra Boa. Je weniger Hunde in den Straßen leben, desto größer sind die Überlebenschancen der Katzen.
Dieses Phänomen setzte sich auch in den folgenden Tagen in Espargos, Palmeira und Santa Maria durch. Glücklicherweise hatte OSPA es geschafft, über 40 Katzenboxen und eine weitere Falle nach Sal zu bringen. Besonders die Boxen waren hier immer Mangelware, was nicht selten zu einem kleinen Chaos beim Aufwachen der Tiere führte. Nun konnte jede Katze bis zur Abholung in einer eigenen Box bleiben. Und trotzdem war der Andrang teilweise so groß, dass selbst diese Boxen nicht reichten.
Auf erneute Nachfrage tauchten auch die Jungs von der Gemeinde auf, um Hunde zu fangen. Besonders in Espargos waren sie damit auch recht erfolgreich und mein Gemüt war etwas besänftigt.
Am Ende war ich dankbar, dass ich nicht alles alleine operieren musste, denn trotz des Zweier-OP-Teams und der lückenlosen Zuarbeit von Tanja und Pepe waren die Tage lang und nicht selten waren wir erst nach 21 Uhr zuhause.
Der große Andrang war nicht zuletzt der guten Organisation von OSPA und der richtigen Auswahl der Räume geschuldet. Den Raum in Palmeira hat uns beispielsweise die Fischervereinigung zur Verfügung gestellt. Er liegt zentral in Palmeira und nahe am Hafen. Als ich morgens mit meinem Beiboot anlandete, informierte ich die Fischer kurz über die Aktion und bat sie darum, es weiterzuverbreiten. Ich hatte gerade die Tür aufgeschlossen, schon stand eine Traube von Menschen mit zahlreichen Katzen und Hunden in der Tür. Man muss dazu wissen, dass die Kapverdianer nicht gerne weit laufen ;-)
Am Ende dieser Aktion standen 541 Kastrationen auf der Liste. 80 weibliche Hunde, 57 Rüden, 225 weibliche Katzen und 179 Kater. Dazu kamen 47 andere, notwendige Operationen. Knapp 600 Operationen, so viele hatten wir lange nicht mehr. Das liegt natürlich nicht zuletzt an den vielen Katzen. Und es zeigt uns, dass wir trotz sinkender Hundezahlen am Ball bleiben müssen.
Im November findet gleich die nächste Kampagne statt, mit dabei dann meine Kollegin Julia Gruhn und Lisa Holl als Assistentin.
Warum gleich noch eine Kampagne? Erstens, weil es diesmal so voll war und wir noch Tage hätten weiter operieren können. Zweitens, weil außer uns auf der Insel niemand Katzen kastriert (und fängt). Es kommen immer auch mal andere Tierärzte auf die Insel, die sich dann jedoch nur auf die Hunde in Espargos konzentrieren. Und drittens, weil ich Anfang Dezember über den Atlantik in die Karibik segeln werde und vorher die Insel so gut aufgeräumt wie nur irgend möglich verlassen möchte.
Ich werde mir in den nächsten Jahren eine kleine Kapverden-Auszeit nehmen, da es zeitlich nicht miteinander vereinbar ist, auf Kreta und auf den Kapverden zu arbeiten und gleichzeitig, um die Welt zu segeln. Daher habe ich auch darum gebeten, dass meine Kollegin Julia diese Aktion mit mir zusammen macht. Nicht, weil ich es allein nicht schaffe. Ich möchte, dass sie das aktuelle Team und die Strukturen vor Ort kennenlernt, denn wir wollen das Projekt hier nicht einstampfen. Ich hoffe sehr, dass meine Kolleginnen während meiner Abwesenheit die Kastrationsaktionen auf Sal aufrechterhalten können und ich eines Tages zurückkehre und kaum noch etwas zu tun habe. Und das Gute bei diesen beiden Aktionen ist: für mich fallen keine Flugkosten an :-)
Ihre Marga