
5 Wochen Kreta
Ich hatte keine Zeit für einen kurzen Bericht, deshalb ist es ein langer geworden.
Seit fünf Wochen bin ich auf Kreta. Seit fünf Wochen höre ich permanent: “Thomas schreib mal was für unsere Mitglieder, Socialmedia und mach schöne Fotos. Nur ganz kurz. Das reicht.” Jo. Ganz kurz. Darauf stehe ich! Um der Generation, die kaum noch lesen mag, Futter hinzuwerfen und um die im Alter auftretenden Arthrosen in den Fingern vom ständigen „Hochwischen“ auf ihren Smartphones zu befeuern. Darf es auch ein bisschen länger sein? Ungeeignet um es zwischen Tür und Angel zu lesen? Dafür aber mit Inhalt, zum Nachdenken oder um sich darüber zu freuen. Man mag es mir nachsehen, aber fünf Wochen in „kurz" geht einfach nicht. Deshalb ein bisschen länger und ich nehme es niemandem übel, wenn er „weiter hochwischt“.
Ein Bericht von Thomas Busch, Tierarzt und 1. Vorsitzender
Hauptgründe für eine längere Kreta-Reise gab es zwei: Einmal unsere NLP und parallel die Einsätze mit dem Verein “Zero Stray Pawject”. Und nebenbei: eine Millionen Kleinigkeiten, die tagtäglich erledigt werden wollten.
Das Wetter war gemischt. Waagerechter Dauerregen, wie ich ihn von Holstein her kenne, Windböen gleichen Ausmaßes, Sahara-Staub bei Südwind, der einem das Atmen schwer macht und tags drauf strahlender Sonnenschein, der zu erklären versucht, warum man diese Insel lieben kann. Zwei Erdbeben rissen uns aus dem Schlaf, aber zu Schaden kam Gott sei Dank niemand. Auf ganz Kreta nicht. Trotzdem: Der Schrecken blieb.
Die erste Inspektionsrunde durchs NLR morgens um 5:30 genieße ich. Noch ist keiner wach, das Leben unserer Station beginnt erst in einer Stunde. In meinem Kopf speichere ich die Dinge ab, die erledigt werden müssen. Nichts Weltbewegendes. Die Boxen in der Garage müssten aufgeräumt werden, der Rasen will geschnitten und das Laub an vielen Stellen zusammengefegt werden. Dann sehe ich den kleinen Ölfleck unter unserem Vito-Bus. Zum dritten Mal werden wir ihn nach Chania zur Werkstatt fahren müssen, die kriegen es einfach nicht hin. Aber ohne unseren „Hulk“ sind wir wie gelähmt. Und in zwei Tagen geht er auf große Reise. Aber davon später.
Die Hunde wollen versorgt werden. Wir haben „nur“ acht im NLR. Wenn ich mich beeile, schaffe ich das in einer Stunde. Ohne die Streicheleinheiten. Die sind aber wichtig, denn wir haben zwei absolut ängstliche Tiere in der Station. Wenn mit ihnen nicht gearbeitet wird, sitzen die ewig hier. Schwer verletzte und kranke Katzen gibt es fünf. Verbandswechsel, Medikamentengabe, füttern und reinigen - die nächste Stunde ist weg. Erwähnte ich die Wäscheberge?
Selbst schuld, warum habe ich die Stationspflege übernommen, während das Team ausschwärmt, um das zu tun, was uns ausmacht: „Kastrationen, um Leben zu retten“. Aber es warten noch andere Aufgaben auf mich...
Andi kriecht unter der Spüle hervor. Sein Kopf ist voll mit Staub. Aber er grinst. "Das ist auch fertig.“ Für seinen verschmitzten Humor liebe ich ihn. Er sagte Anfang Februar, dass es ihm eine Ehre wäre, eine Praxis aufzubauen. Das ist jetzt dreieinhalb Monate her. Seitdem ist Andi Elektriker, Klempner, Glaser, Mauerer, Verputzer, Trockenbauer, Schreiner, Treppenbauer, Spezialist für Röntgengeräte und deren Raumauskleidung mit Blei, Spezialist für OP-Lampen und sollte ich was vergessen haben… das kann er auch!
So ist aus einer Halle und dem Geschenk von Dr. med. vet. Ilona Skolarski - sie schenkte uns ihre komplette Praxisausstattung aus Berlin - etwas zusammengewachsen, die NLP. Die Tierärztin, die dort zukünftig arbeiten wird, wünschte sich diesen Namen: ihre “New Life Practice”.
Ich bringe ganz früh morgens unseren Tierfreund Michael v. Vopelius zum Flughafen nach Heraklion. Er hatte auf der Station mitgeholfen. Auf der Schnellstraße liegt eine plattgefahrene Katze. Aber irgendwie nicht wie die toten Tiere sonst so da liegen, sondern anders. Ein Instinkt lässt mich bremsen und zurückrollen. Ich will mich überzeugen, dass sie den Aufprall nicht überlebt hat. Als ich sie berühre, hebt sie ihren blutverschmierten Kopf. Diese Momente sind die Hölle! „Beeil Dich“ ruft Michael, „es kommt ein Auto. Wenn Du auch da liegst, verpasse ich meinen Flug.“ Den letzten Satz habe ich nicht gehört, sondern greife zu. Wenn sich das Tier in seiner Panik nun mit letzter Kraft aufrafft und mich beißt und kratzt, habe ich Pech. Aber nichts dergleichen. Ein schlaffer Körper verschwindet im Kofferraum. Lebensgefährlich ist sie nicht verletzt, also erstmal zum Flughafen. Auf dem Rückweg ins NLR bin ich, trotz des traurigen Umstandes, überschwänglich glücklich. Wann auch immer verletzte Katzen zukünftig gefunden werden, wir können in wenigen Wochen, egal zu welcher Uhrzeit, in die NLP fahren. Wir können dort alle Maßnahmen ergreifen, die uns bis jetzt nicht zur Verfügung standen. Beispielweise Blutanalysen oder Röntgenbilder. Wenn andere Tierfreunde solch ein Tier finden, steht unsere Kollegin ihnen rund um die Uhr zur Verfügung. Eine Notfallversorgung, auch wenn die Teams des Tierärztepools nicht in der Nähe sind, gab es noch nie!
Die Namensgleichheit mag verwirrend sein, deshalb hier noch einmal der Unterschied. Das NLR (New Life Resort) ist unsere angemietete Station, in der wir seit Jahren wohnen und die schwer verletzten Tiere aufpäppeln, die nach jedem Einsatz anfallen. Hier lagert das Equipment, hier stehen die Fahrzeuge, hier befindet sich, sozusagen, die Kreta-Kommando-Zentrale des Tierärztepools. Und zur Erinnerung: in zwei Jahren läuft unser Mietvertrag aus, Gott weiß, was dann passiert. Die NLP (New Life Practice) ist eine Praxis in Rethymno, die wir komplett aufgebaut haben und die zukünftig von einer ortsansässigen Tierärztin in unserem Sinne, aber auch von ihr privat, benutzt wird.
Um 6:00 bin ich wieder in der Station. Noch halb verschlafen steht unsere Assistentin, Christina Schomann, vor mir. “Ich habe Dir was mitgebracht”, sage ich ernst und bin erstaunt, dass das verschlafene Gesicht beim Anblick einer verletzten Katze, innerhalb von Sekunden hellwach wird. “Wo hast Du die denn her?” und schwups, wird mir der rote Kater aus der Hand genommen. In diesem Moment weiß ich, dass er überleben wird. In den Armen unserer Katzenmutti ist die Gesundung ein Befehl. Inzwischen ist sein Beinbruch verheilt, das Loch in der Zunge verschwunden und vermittelt ist er natürlich auch schon.
Das Telefon klingelt. Die Polizei von Rethymno! Sie haben einen Hund gefunden, der verletzt ist. Und damit ist die Routine des Tages mal wieder im Eimer. Boxen aufräumen, Rasen mähen oder Laub fegen kann warten. Notfälle gehen vor. Zum ersten Mal darf ich legal im Halteverbot parken und das auch noch vor den Augen etlicher Polizisten, direkt vor ihrer Zentrale. Herrlich. Der Rest ist weniger herrlich. In eine Decke eingewickelt ein Hund, der nach der ersten Untersuchung regungslos liegenbleibt. Was passiert ist, frage ich nicht, ich verstehe die Antwort eh nicht und meistens verwirrt das nur die Diagnosefindung. Also ab ins Auto und ich verlasse meinen, ab heute, Lieblingsparkplatz. Im NLR stellt sich heraus, dass wir wahrscheinlich den ältesten Straßenhund von Kreta aufgelesen haben. Sein Körper ist schwach, er frisst nicht, er kann nicht mal seinen Kopf heben. Röntgenbilder bestätigen: ein Wirbelsäulentrauma liegt vor. Und alt ist er. Entsetzlich alt. Unsere Kollegin aus Rethymno, die zukünftig die NLP betreiben wird, kennt ihn. Er wird von einer älteren Griechin betreut, aber er rannte immer allein durch die Stadt. Die ersten Tage vergehen. Nichts tut sich, bei unserem 15 Jahre alten Opi. Er frisst immer noch nicht, kann den Urin nicht halten und stinkt wie ein Iltis. Wir überlegen gemeinsam. Diese Diskussionen erschüttern alle im Team. Immer wieder ziehe ich die Spritze auf und jedes Mal bilde ich mir ein, er macht Fortschritte. Aber welche Lebensqualität hat ein alter Körper noch, der 23,5 Stunden nur rumliegt? Aber genau in diesen Momenten frisst er, hebt den Kopf etwas höher, guckt mich müde an und ich verstecke die Spritze hinter meinem Rücken. Er soll mein Vorhaben nicht sehen. Heute nicht. Vielleicht mache ich es morgen. Morgen steht er das erste Mal kurz auf. Also übermorgen. Übermorgen frisst er wie ein Scheunendrescher und geht zwei wackelige Schritte. Also überübermorgen.
Er lebt immer noch. Inzwischen kommt er mir sogar entgegen, wenn ich den Weg zum Hundehaus hochgehe. Er erledigt sein Geschäft draußen (jedes zweite...) und nimmt wieder am Leben teil, fast wie ein alter Herr in Würde. Die Spritze habe ich weggepackt.
Es gab Zeiten, da waren wir stolz, wenn wir 20-25 Hunde am Tag kastrierten. Ein Arzt und ein Assistent. Und dementsprechend müde war das Team am Abend. Das sind wir heute nach solchen Tagen immer noch, allerdings sind inzwischen drei Tierärztinnen müde und mindestens genauso viele Assistenten. Das Ergebnis eines einzigen Tages: 80 Operationen. So aktuell geschehen in Phaistos, einer Gemeinde im Süden von Kreta. Mit dem Verein Zero Stray Pawject inzwischen zusammengewachsen, bewundern beide Vereine die Arbeit des anderen. Hut ab vor dem Auftritt und dem Engagement von Zero Stray. Sie fahren von Gemeinde zu Gemeinde und überzeugen die Bürgermeister von der Wichtigkeit der Kastrationen der Tiere von Menschen, die an der Armutsgrenze leben, ebenso wie von Jägern und Schäfern und erinnern mit Nachdruck an die Einhaltung der Gesetzeslage. Und für die Umsetzung der Kastrationen brauchen sie Tierärzte. Eingespielte Tierärzteteams die am Fließband operieren können. Wenn es sein muss, mehr als 12 Stunden. Ohne Pause. Das gibt es nicht? Ich lade Sie gerne ein...
Und so kastrierten wir komplette Wochenenden in Sitia, Lassithi, Paleochora, zweimal Minos, und zweimal in Phaistos. In der Woche fahren unsere Tierärztepool-Teams aber trotzdem noch weiterhin über die Insel und operieren die Straßentiere wie gewohnt. Sie können sich vorstellen, dass diese Mehrbelastung Folgen hat. Doppelt so viel Equipment wird verbraucht, was bestellt, sortiert, gelagert, nach Kreta geschickt und dort wieder gelagert werden muss. Und wir reden hier nicht von einem kleinen Paket unsteriler Handschuhe, sondern von mehreren Kubikmetern Material. Wir überlegen, unsere Autoflotte zu vergrößern. Drei Tierärzte und mindestens drei Assistenten können nicht 160 km nach Sitia mit dem Fahrrad fahren. Wir brauchen mehr OP-Tische, mehr OP-Lampen, mehr Sterilisatoren, Infusionsständer und, und, und. Und das Wichtigste: 13 Tierärzte reichen nicht mehr aus. Wir brauchen mal wieder mehr Ärzte. Wie seit 25 Jahren.
5000 Kilometer und jetzt ist er wieder da. Hulk, unser grüner Bus. Christina Schomann hat ihn mal eben nach Heraklion auf die Fähre gefahren, ist mit ihm nach Athen geschwommen, dann rüber nach Patras gefahren, wieder auf eine Fähre drauf und einen Tag später in Ancona (Italien) wieder runter. Jetzt beginnt der Höllen Tripp, denn 850 Kilometer über die, im Dunkeln liegenden, Alpen hat sie vor sich. Sie muss sich beeilen, denn mein Sohn wartet bereits in München, genauer gesagt in Sulzemoos in Melanies vollgepackter Garage. Er hat sich mit seiner Freundin netterweise bereit erklärt, Hulk zu bepacken und am Abend wieder nach Kreta aufzubrechen. Autos dürfen in Griechenland nicht länger als sechs Monate mit einem ausländischen Kennzeichen verweilen, ansonsten droht Ärger. Wir versuchen diese Intervalle einzuhalten und brauchten auch, wegen der Zero-Stray-Einsätze, neues Equipment. Glauben Sie mir, wenn solche Touren anstehen und Mitarbeiter oder das eigene Kind am Steuer tausende Kilometer abreißen, sind die eh schon kurzen, erdbebenfreien Nächte unruhig. Jetzt aber drücke ich Dante und Nelly und bin froh, dass alles reibungslos funktioniert hat und zwei Arbeitskräfte mehr im NLR sind. Gegen Abend ist Hulk leergeräumt, gewaschen und ausgesaugt und steht auf seinem Platz, als wolle er zeigen, dass das doch alles harmlos war.
Die Vize-Bürgermeisterin von einem Stadtteil aus Athen kontaktiert mich. Sie möchte, dass wir in „ihrem“ und dem Nachbarstadtteil kastrieren. Sagte ich bereits, dass wir mehr Tierärzte brauchen?
Und mindestens jedes zweite Wochenende ein Einsatz auf Kreta mit Zero-Stray-Pawject. Plus die Gemeinden im Norden Griechenlands. Doxato will einen weiteren 10-tägigen Einsatz, Drama, die Nachbargemeinde ebenfalls. Kozani möchte die Tage verdoppeln. Galaxidi ist dazugekommen. Jemand aus Thessaloniki hat unsere griechische Kollegin Anna kontaktiert...
Diese Entwicklung hinterlässt aber auch Spuren. Die Zusammenarbeit mir Zero Stray Pawject sehen manche Menschen in Griechenland skeptisch. Die Tierärztekammer sowieso, die alles, was wir seit 25 Jahren machen, skeptisch sieht – die Gründe verstehe ich bis heute nicht. Aber selbst Tierschützer greifen mich an. Man wirft mir vor, mich politisch vor einen Karren spannen zu lassen und nicht zu bemerken, dass wir ausgenutzt werden. Diese Vorwürfe sind allerdings mit nichts Konkretem untermauert. Auch auf Nachfrage hin nicht. Ja, vielleicht rühmt sich die eine oder andere Partei damit, Gesetze geschaffen zu haben die Bewegung ins Spiel bringen und vielleicht hofft der involvierte Politiker auf seine Wiederwahl. Aber im Gottes Namen, wo lassen wir uns denn instrumentalisieren? Wir arbeiten seit 25 Jahren in diesem Land und haben noch nie einen einzigen Cent erhalten. Von Griechenland nicht, von Deutschland nicht und von der EU schon gar nicht. Seit 25 Jahren finanzieren tierliebe Menschen unser Tun und plötzlich lassen wir uns von Griechenland ausnutzen? Sehr witzig! Durch Gesetze und deren Verfolgung besteht zum ersten Mal die Chance, Gemeinden zu überzeugen, dass sie was tun müssen und dass eine finanzielle Beteiligung bald Pflicht sein kann. Und die Menschen, die ihr Tier kastrieren lassen möchten, rennen uns die OP-Tür ein. Zum ersten Mal haben wir die Chance, an Privattiere heranzukommen und wir lassen uns ausnutzen? Gut, dass mein Fell dicker ist als das eines Eisbären! Zero Stray Pawject bringt einen Werbefilm ins Fernsehen, der bis Oktober über die Wichtigkeit der Kastrationen aufklärt. Am Flughafen begrüßt ein riesiges Plakat die Anreisenden und bald fahren Busse durch Heraklion und andere Städte mit der Zero Stray Pawject Werbung für Kastrationen. Geht es besser? Ich finde nicht! Also wird weiterhin kastriert. Und zwar so lange, bis die Nachhaltigkeit im letzten Winkel Griechenland verstanden wird.
Und noch etwas: es geht bei diesem Politikum wie immer ums Geld. Dass wir mit unserer Arbeit den Tierärzten vor Ort Geld wegnehmen... blablabla.
Dazu folgende Info: in Rethymno befinden sich so gut wie keine Straßenhunde mehr. Auf einem Quadratkilometer in der Stadt gibt es acht Tierarztpraxen. Die gab es früher nicht, als noch hunderte Streuner durch die Straßen zogen. Kann mir jemand diesen Zusammenhang - der keiner ist - erklären? Nach der Theorie, dass Straßenhunde Geld einbringen, dürfte es keine Praxis in Rethymno mehr geben. Warum gibt es sie trotzdem und warum werden es mehr, anstatt weniger? Weil die Bevölkerung sich verändert hat und einhergehend, ihre Einstellung zu Tieren. Man hält Hunde in einer Wohnung. Das war früher eine Ausnahme. Man geht mit seinem Hund spazieren. Auch das gab es früher nicht. Daraus folgt, dass der Hund immer mehr ein Familienmitglied und damit natürlich umsorgt wird. Auch medizinisch. Was soll also der Streit ums Geld bei Straßentieren? Bis auf: die Gemeinden müssen gezwungen werden, ihren Anteil dazu beizutragen, denn in den ländlichen Regionen sieht die Sache anders aus. Und ländliche Regionen gibt es viele auf Kreta. Dort wartet noch einiges an Arbeit, aber die müssen ja nicht wir allein machen. Warum werden ortsansässige Kollegen nicht eingebunden in diese Kastrationskampagnen? Die Antwort: weil es dort nur wenige Kollegen gibt, weil einige daran nicht mitarbeiten möchten und weil sie es oft nicht können. Wir haben unser Wissen aber noch nie zurückgehalten und freuen uns über jeden Kollegen, der von uns die sterile, schnelle und minimalinvasive Technik lernen möchte. Also liebe Tierärztekammer, ich sehe genau an dieser Stelle den Hebel! Ein “Gemeinsam” wird die Lösung bringen, kein Gegeneinander.
Ein Auto hält vor unserem Haus. Im Kofferraum ein Hund, welcher definitiv ein Notfall ist. Schon wieder einer. Das NLR füllt sich. Gut, dass Dante und Nelly als Verstärkung da sind. Der Tierarzt in Rethymno, der eigentlich für die Straßentiere zuständig ist, ist nicht erreichbar. Ach, das ist ja was ganz Neues (Ironie aus). Das ist seit 25 Jahren so! Kein organisierter Notdienst!
Die kleine Hündin schaut mich an. Hilfesuchend. “Du bist in Sicherheit”, flüstere ich ihr ins Ohr, weiß aber, dass der Weg, den wir ab jetzt gemeinsam gehen, mehr als steinig werden wird. Ihr rechtes Vorderbein ist zerfetzt. Melanie fotografiert mich, als ich die Kleine aus dem Kofferraum hebe und das Bild ist wirklich herzzerreißend. Ich schicke es abends an Tierfreunde, die wissen wollen, wie mein Tag so war und schon steht mein Telefon nicht mehr still. Was ist mit ihr, wird sie wieder… Ich weiß es vier Tage später leider immer noch nicht. Ich weiß auch nicht, was mit ihr passiert ist, aber was ändert das? Wahrscheinlich ein Unfall. Wie so oft. Eine griechische Tierärztin vom Tierärztepool operiert sie. Schmerzmittel helfen ihr über die Nacht. Fotos vom Bein, Ratschläge, Hilfestellungen werden von überall angefordert. Die Arche kniet sich rein. Ist bei komplizierten Fällen immer so. Niemand gibt hier auf und wenn sie das Bein verlieren sollte, liegt das definitiv nicht an uns. Als ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Flugzeug zurück nach Deutschland. Heute morgen wechselte ich ihren Verband. Es sah nicht gut aus. Kurzfristig überlegte ich, meinen Flug zu streichen und mit ihr und dem Auto nach Deutschland zu fahren. Fliegen geht mit so einem Bein nicht. Die Möglichkeiten in Deutschland wären schon besser. Aber Melanie beruhigt mich und ja, sie hat recht. Kurz nach so einem Trauma sehen die Verletzungen immer die Hölle aus. “Ich weiß”, antworte ich, todtraurig.
Apropos Melanie. Sie war während meiner fünf Wochen 14 Tage mit mir auf Kreta. In dieser Zeit schafften wir es nicht ein einziges Mal, gemeinsam in unserem Lieblings- Café zu frühstücken. Es wurde durchgearbeitet, wie vor 25 Jahren auch schon. Im Gegenteil, es ist so viel mehr geworden. dass Melanie kurze Zeit später nur für ein Zero-Stray-Wochenende erneut nach Kreta kam und 3 x 13 Stunden durchkastrierte. Mit zwei weiteren griechischen Kolleginnen und einem wundervollen Team konnten alleine an diesem Wochenende 181 Hunde unfruchtbar gemacht werden.
Oh doch, es gibt ein paar freie Stunden. Fast hätte ich es vergessen. Wir wurden informiert, dass Geier ausgewildert werden. Ich hatte davon schon öfter gehört, aber nie Zeit gefunden, mir dieses Gänsehauterlebnis anzuschauen. Verletzte, kranke, schwache oder zu früh aus dem Nest gefallene Greifvögel werden in Auffangstationen aufgepäppelt. Auf Kreta gibt es diese Stationen nicht, also werden die Tiere aufs Festland gebracht, um nach ihrer Genesung zurückzukommen und ausgewildert zu werden. Was für ein logistisches Meisterwerk, was für eine Arbeit, was für großartige Menschen, die sich darum kümmern. Ich weiß, wovon ich rede. Einige kennen wir inzwischen und so wurden wir gefragt, ob wir uns das Spektakel anschauen möchten.
Auf der Dominikanischen Republik lernten wir bei einem Kastrationseinsatz eine Meeresbiologin kennen, die uns einlud, mit ihr und ihrem Team die Wale zu beobachten. Es gibt Momente im Leben, die sind so ehrfürchtig, dass man dasteht und nichts dagegen tun kann, dass einem die Tränen die Wangen hinunterlaufen. Wenn die riesigen Wale im Liebestanz aus dem Wasser kommen, steht die Welt still.
So ergeht es mir heute auch, als sich die Türen der Käfige öffnen, die Geier herauskommen, ihre Flügel spreizen und in ihre bergige Heimat zurückkehren. Sie gleiten auf dem Wind höher und höher, bis sie zu kleinen Punkten werden. Gänsehaut pur!
Aber einer will nicht. Es scheint, als genieße er die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Und davon gibt es reichlich. Zwei Busse haben sogar Schulklassen hergebracht. Den Geier stört das nicht. Er läuft aus seiner Box den Abhang hinunter. Durch mein Zoom gelingen außergewöhnliche Fotos. Was für majestätische Tiere. Als er endlich abhebt, unterstreicht er das mit keinem Blick zurück.
Jetzt fliege ich heim. Ich sehe Kreta immer kleiner werden - wie vor ein paar Tagen die Geier - bis die Wolken die Insel verschlucken. Ich brauche eine Pause. Fünf Wochen am Stück, jeden Tag unzählige Dinge erledigen, Gästen, Praktikanten, Tierärzten und Assistenten die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und für ihre Sorgen ein offenes Ohr haben, die Tiere, inklusive Notfälle, betreuen, bürokratische Dinge erledigen, immer präsent sein, das alles fordert seinen Tribut. Vor Ort kennt der Tag keine Gnade. Immer ist irgend etwas. Ein Entfliehen gibt es nicht, die Flucht gelingt nur mit einem Abflug.
Diesen Abflug, mit regelmäßigen Pausen von der permanenten Beschallung vor Ort, hat die Tierschützerin, Brigitte Scheichel, die einst den Tierschutzverein APAL im Süden aufbaute und leitete, nicht hinbekommen. Sie musste nach über zehn Jahren - genau wie ich vor ganz langer Zeit - erfahren, dass der Tierschutz Menschen auffrisst. Gnade und Dank sind Fremdwörter, auch wenn es, von daheim in Deutschland im Sessel Sitzenden, oft anders postuliert wird. Aber das stimmt nicht. Entweder man ist Tierschützer oder nicht. Und wer es ernst meint, kommt nie wieder zur Ruhe. Die Gedanken kreisen 24/7, das Privatleben löst sich auf, Schlafmangel durch Dauerstress entsteht. Es unterlaufen Fehler, die ausbalanciert nie passiert wären. Wer dann nicht ein starkes Team, voller Vertrauen und mit ganz viel Rückenwind hinter sich weiß, ist verloren. So auch diese Tierschützerin. Ich kenne sie schon viele Jahre und bot ihr aus Achtung vor ihrer Leistung in den vergangenen Jahren die Arche-Flügel an, unter denen sie sich ausruhen könne. Inzwischen ist die Kraft wieder da. Noch nicht vollständig, aber bei ihr reichen 50 Prozent. Damit leistet sie mehr als andere mit 100 Prozent. Ich freue mich, sie an Bord zu haben und bin mir sehr sicher, dass wir gemeinsam zukünftig auf uns aufpassen werden, damit eine Überarbeitung nie wieder ins Chaos führt.
Am Tag nach meiner Landung telefonierte ich 7 Stunden und 34 Minuten. Ich habe die Zeiten absichtlich addiert. Das zu dem Thema “Pause”.
Aber Sie entlasse ich mit diesen Zeilen und wer es bis hier hingeschafft hat, gehört definitiv nicht zu der Generation der “Hochwischer”, sondern zu denen, die sich für unsere Arbeit wirklich interessieren.
Thomas Busch
Zero Stray Pawject
Zero Stray Pawject schult, konzipiert und führt in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen Programme durch, die die Zahl streunender und heimatloser Haustiere nachhaltig reduzieren und den Tierschutz, die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Gesundheit und die lokale Wirtschaft verbessern.