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Alle Neune!

Ein Bericht von Thomas Busch Tierarzt und 1. Vorsitzender

Wer versucht stets, die Station nicht zu voll werden zu lassen? Ja, ich! Unsere Tierärzteteams sollen kastrieren, und zwar von morgens bis abends. Da reicht die Zeit nicht, um sich um Welpen zu kümmern. Die Tage ziehen sich eh schon bis in die Nacht, da müssen nicht noch nervige Zwerge betüddelt werden. Bella, unsere Leishmaniosehündin hatte letzte Nacht nahezu unstillbares Nasenbluten bedingt durch eine chronische Entzündung ihrer Blutgefäße. Zwischen 00:00 und 02:00 saßen Christina und Melanie bei ihr und versuchten alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Bella nicht verblutet. Um 06:00 klingelte der Wecker. Vorher hatte natürlich auch niemand geschlafen.  

Eine volle Station ist die Hölle und verlangt dem Team einen wahnsinnigen Einsatz ab.

Sieben Katzen, allesamt komplizierte Notfälle wollen zurzeit betreut werden. Plus drei winzige Hundewelpen aus einem vollgeschissenen Käfig eines Tierheimes, in dem wir arbeiten. Sie zurückzulassen, war unzumutbar. Dann möchten noch unsere Stationssitzenbleiber ihr Futter bekommen und die Wäsche, die anstehende Inventur, die … Es reicht!

Szenenwechsel.

Verdreckte Käfige. Von Ratten angefressene Welpen. Klapperdünne Gestalten. Sie kennen diese Bilder nicht? Wir schon.

Heute sind wir auf einem Privatgelände eines alten Griechen. Angeblich hat eine Straßenhündin auf seinem Grundstück geworfen. Neun Welpen. Er hat sie eingesperrt, damit sie nicht überall hinschei… Ein bisschen Futter gibt es täglich und auch das Wasser sieht ok aus. Ende. Mehr nicht. Saubermachen ist nicht, der Mann ist zu alt. Wo denn die Hündin sei? Er weiß es nicht genau, irgendwas von erschossen hören wir. Wir fragen nicht weiter. Aber immerhin hat er uns jetzt gerufen. Wir hatten die Mama bereits kastriert. Nun ist sie tot. Die Welpen sollen auch kastriert werden, was wir gerne machen. Jeder kann sich ausmalen, wie viele Neugeborene gleiches Schicksal ereilen wird, wie das ihrer Großmutter.  

Auch seine acht Katzen dürfen wir kastrieren, die will er aber wiederhaben, denn sie fangen die Mäuse. Die neun Welpen braucht er nicht mehr. Wir erklären ihm, dass wir sie nicht aufnehmen können und er sie nach der OP zurückbekommt. Mit Futter können wir unterstützen.

Erneuter Szenenwechsel.

Wir haben sie kastriert. Ein Weibchen hat ein schief zusammengewachsenes Vorderbein. Was hat dieser Zwerg nach dem Bruch an Schmerzen aushalten müssen? Ich sitze im NLR vor unseren Zwingern, die wir für Notfälle vor Jahren bauten. Zwei Zwinger sind leer. Mein Kopf zerspringt. Kann ich meinen am Limit arbeitenden Teams zumuten, sich um weitere neun Welpen zu kümmern? Und warum gerade die? Aus jedem Tierheim könnten wir Hunderte mitnehmen. Aber sie wieder zu dem Ort zurückbringen, der voll mit Scheiße war, ohne Betreuung und Zuspruch? Von medizinischer Versorgung spreche ich erst gar nicht. Wie viele von ihnen werden erschossen und wie viele werden überleben?  

Sie sind scheu aber aus ihrer Mitte löst sich ein brauner Rüde mit zwei hellen Streifen an seiner kleinen Samtnase. Ich telefoniere mit unserem Team aus Rhodos. Irgendwas ist zu besprechen, ich weiß nicht mehr was. Der Kleine kommt mutig näher, stupst mich an und lässt sich streicheln. "Ich nehme drei, wenn ich wieder in Deutschland bin“, antwortet Sabrina (Schwester Klüßendorf) von Rhodos aus.  

Können Männer auch ihre Tage bekommen? Ich habe meine gerade. Entscheidungen zuzulassen, die das Herz trifft, sind immer schlecht, wenn der Verstand dabei aussetzt. Aber warum darf ich nicht auch mal eine schlechte Entscheidung treffen?

Ich verspreche, mich um sie die nächsten zehn Tage zu kümmern. Anschließend übernimmt Miriam die Pflege. Sobald sie ausreisefähig sind, hole ich sie nach Deutschland und werde Pflege- oder Endstellen suchen.  

Mir sind die anderen Sorgen, die ein Vorsitzender eines großen Vereins sonst so hat, gerade ziemlich egal. Banktermine, Anwaltsbriefe, E-Mail-Umstellung, Vorstellungsgespräche. Bürgermeistertreffen… sie alle können mich mal.

Und wissen Sie was? Es tut verdammt gut. Den Bezug zur Front nicht zu verlieren, zu spüren, dass es andere Sorgen gibt als die verdammte Vereinsbürokratie, die Öffentlichkeitsarbeit, die Einsatzplanung, die Medikamentenbestellung, ist ungemein wichtig für jemanden, der zeitlebens diesen Spagat versucht hat, hinzubekommen. 

Ein letzter Szenenwechsel.

Ich sitze neben Ihnen. Sie lesen diesen Text. Sie verstehen mich vielleicht sogar ein bisschen. Dann los. Helfen Sie mir. Werden Sie ein Teil meiner Sorgen und holen Sie das alte Körbchen aus dem Keller. Oder fragen Sie Ihren Nachbarn, der doch schon immer einen Hund haben wollte. Nehmen Sie einen „Neuner“ zur vorübergehenden Pflege. Oder vielleicht haben Sie ja auch ein Tierheim, in dem ein Zwinger leer ist? Helfen Sie mir, meinen Verstand wieder zurückzugewinnen.

Ihr Kegelbruder Thomas