Bitte retten!
Ein Bericht von Nina Schöllhorn, Tierärztin
Was würden Sie tun, wenn Ihnen auf der Straße ein frierendes, hungriges, verlassenes Kind begegnet?
Ich gehe, davon aus, Sie würden nicht daran vorbeigehen, sondern versuchen zu helfen. Sie würden ihm Essen geben, es ins Warme bringen und sich darum kümmern, wo es hingehört, bzw. wo man ihm weiterhin helfen kann.
Was würden Sie tun, wenn Ihr Nachbar durch einen Brand sein Dach über dem Kopf verliert?
Ich denke, Sie werden auch dann helfen, wo es geht, sei es mit einer vorübergehenden Bleibe oder sonstiger Unterstützung, die Sie bieten können.
Was würden Sie tun, wenn Sie im Straßengraben ein ausgesetztes Hundekind finden würden?
Ich zweifle nicht daran, dass Sie mit Sicherheit nicht wegschauen würden, sondern das Kleine mitnehmen und ins nächste Tierheim bringen würden, wo man sich liebevoll um es kümmern wird.
Warum stelle ich diese Fragen? Das ist doch selbstverständlich, werden Sie sagen. Ja, es ist selbstverständlich, als empathische Menschen, nicht an Elend vorbeizugehen. Es ist unsere Pflicht, Schwächeren und in Not Geratenen zu helfen.
Nun möchte ich aber die Szenen ein wenig verändern:
Sie sind in Indien, und es steht nicht nur ein hungriges, frierendes, verlassenes Kind vor ihnen, sondern wohin Sie auch gehen, es begegnen ihnen Kinder in Not. Was würden Sie tun?
Vielleicht würden Sie einem von ihnen helfen, vielleicht ein paar von ihnen etwas zu Essen geben? Oder Sie würden entscheiden, dass es zu viele sind und es gar keinen Sinn macht überhaupt etwas zu versuchen? Mit etwas Abstand würden sie vielleicht die sinnvolle Entscheidung treffen und nach einer vertrauenswürdigen Organisation suchen, die Sie im Kampf gegen Kinderarmut unterstützen können.
Sie befinden sich in einem Katastrophengebiet und um Sie herum ist alles völlig verwüstet, Obdachlose wohin Sie auch schauen. Was würden Sie tun?
Versuchen Sie mit anzupacken oder verlassen Sie den Schauplatz angesichts all des Elends? Oder suchen Sie nach einer Organisation, die mit System den Wiederaufbau vorantreibt und unterstützen diese?
Sie finden nicht nur einen Hundewelpen im Straßengraben, sondern sobald Sie das Haus verlassen, begegnen Ihnen ausgesetzte Hunde. Zudem sind die Tierheime überfüllt und können keine weiteren Tiere aufnehmen. Was würden Sie tun?
Vielleicht würden Sie ein oder zwei mit nach Hause nehmen. Vielleicht mit etwas Glück den ein oder anderen bei Freunden unterbringen. Aber dann???
Vielleicht sehen Sie nun, dass es einen Unterschied gibt zwischen unserer heilen (auch wenn sie sich in diesen Zeiten alles andere als heil anfühlt) Welt und der harten Realität, die sich andernorts abspielt. Plötzlich verschiebt sich die Linie des Naheliegenden und gut Machbaren. Plötzlich ist das, was eben noch selbstverständlich war, angesichts des übergroßen Ausmaßes an Elend nun doch nicht mehr machbar.
Meine Schilderungen versuchen Ihnen unsere Situation im Einsatz nahezubringen. Unsere Realität und unseren Alltag. Wir sind in einem Maß von Elend umgeben, dass sich viele von Ihnen gar nicht vorstellen können. Dessen bin ich mir bewusst.
Es ist mir ein großes Anliegen, dass Sie dennoch versuchen, sich in unsere Situation hineinzuversetzen. Denn:
Oft finden wir uns in der Situation wieder, dass wir Ihnen eine Alltagssituation schildern, Sie quasi mitnehmen wollen, Ihnen zeigen, was vor Ort passiert. Ganz oft ist dann aber die einzige Frage die, ob wir das betroffene Tier in Sicherheit gebracht haben. Natürlich ist dies nachvollziehbar. Sie sehen ein Tier in Not und möchten es in Sicherheit wissen. Ganz normal, so wie weiter oben beschrieben. Doch wir stehen nicht nur diesem einen Tier gegenüber, sondern hunderten.
Oft wird großer Druck auf uns ausgeübt. Wie können wir an dem ausgesetzten Hund vorbeigehen? Wie können wir den Kettenhund an der Kette zurücklassen? Wie können wir den verzweifelten Hund im Tierheim nicht mitnehmen?
Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir alle, die dort im Einsatz an der Front sind, eben genau aus dem Grund dort sind, weil wir helfen wollen, weil wir etwas ändern wollen. Keiner von uns ist kaltherzig oder emotionslos. Sonst könnten wir alle wahrhaftig ein einfacheres Leben führen.
Wer aber an den Schauplätzen des Tierschutzes kämpft, wo das Elend übermächtig zu sein scheint, der kann nur dann bestehen, wenn er einen klaren Kopf behält, den roten Faden nie verliert und vor allem auch lernt sich selbst zu schützen.
Wir dürfen niemals den Fokus verlieren. Und unser Fokus muss stets darauf gerichtet sein, Leid zu verhindern und uns nicht darin zu verlieren, Leid zu lindern!
Wenn wir Tierärzte an einem Durchschnittstag 20 Tiere kastrieren, wie viel Leid verhindern wir dann? Wie viele Welpen werden dann nicht geboren, die ansonsten im nächsten Straßengraben landen?
Wenn ich selbst aber die Welpen, die ich finde, alle mit zu mir nach Hause nehme, dann vereinnahmt mich die Pflege der Kleinen in Kürze völlig und es bleibt weder Zeit noch Energie zu operieren. Was ist in dem Fall wichtiger, das Retten des Einzelnen oder das große Ganze?
Keiner von uns geht achtlos an Tieren in Not vorbei. Wann immer wir die Möglichkeit sehen zu helfen, wann immer wir ein freies Plätzchen haben, wir werden helfen. Doch manchmal müssen wir uns wirklich selbst davor schützen auszubrennen. Denn, wenn das passiert, ist wahrlich keinem geholfen. Ein Mensch besitzt nur eine gewisse Menge Kraft und Energie. Mehr geht dann einfach nicht. Und glauben Sie mir, wir befinden uns oft sehr knapp an der Kante....
Zudem müssen Sie sich bitte immer vor Augen halten, dass vor Ort die Tierheime keine Orte der Sicherheit sind. Das "in Sicherheit" bringen, relativiert sich also sehr. Wann immer ich ein Tier in Not aufnehme, bedeutet das, dass ich die ganze Verantwortung auf mich nehme, bis das Tier an sein endgültiges Zuhause übergeben wird und auch darüber hinaus. Gute Stellen sind auch in Deutschland begrenzt. Es ist unmöglich, alle heimatlosen Hunde und Katzen dieser Welt nach Deutschland zu holen. Gute Pflegestellen oder andere Unterbringungsmöglichkeiten sind in Rumänien, aber auch in den anderen Ländern unserer Arbeit sehr begrenzt. Wenn voll ist, ist voll. Mehr geht dann nicht.
Der Sinn dieser Ausführungen ist folgender: Tatsächlich werden wir des Öfteren recht barsch kritisiert, warum wir das ein oder andere Tier nicht gerettet haben. Ich hoffe, ich konnte Ihnen etwas verdeutlichen, dass das Ganze nicht so einfach ist, wie es vielleicht scheinen mag. Und ich kann Ihnen versichern, dass in der Zeit, in der wir den einen nicht retten konnten, trotzdem an anderer Stelle helfen konnten und ansonsten sowieso jeden Tag und kontinuierlich uferloses Leid verhindern.
Ich bitte Sie Vertrauen in uns zu haben. Wir helfen, so gut wir können!
Als ich mich letzte Woche nach 4 Monaten am Stück in Rumänien auf den Nachhauseweg mache, bin ich völlig ausgebrannt und absolut erschöpft. Ein sehr arbeitsreiches Jahr liegt hinter mir und ich blicke stolz auf knapp 3000 Operationen zurück. Größtenteils waren das weibliche Tiere und das Ausmaß an Elend, das dadurch verhindert werden konnte, ist kaum zu greifen. Während ich also mit einem zufriedenen Gefühl über die rumänischen Straßen fahre und mich auf zu Hause freue, fällt mein Blick auf eine Parkbucht.
Dort sitzt ein Welpe. Ausgesetzt. Da ist er wieder, der Schlag in die Magengegend. Das Wissen nie genug getan zu haben. Und doch weiß ich im selben Moment: Ich habe alles getan in diesem Jahr, was in meiner Macht stand. Mehr geht jetzt nicht. Ich muss meine Kraftreserven auffüllen, denn nächstes Jahr werde ich sie brauchen.
Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen in uns.
Ihre Nina Schöllhorn
Helfen
Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!
In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.
In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:
Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer
TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de