Rumänien - Ein kurzer Blick
Ein Bericht von Nina Schöllhorn | Tierärztin
Ein kurzer Blick in den Zwinger genügt und das ganze Ausmaß des Problems ist sofort klar.
Ich befinde mich in einer der zahllosen Sammel- oder Verwahranstalten für Hunde. Eigentlich
ist der Sinn meines Besuches die Behandlung des ganzen Bestandes gegen Sarkoptesräude, die dort ein großes Problem darstellt. Doch nun fällt mein Blick auf zehn winzige Welpen, die zweifelsohne noch ihre Mütter bräuchten.
Alles, was sich in dem Zwinger findet, sind Trockenfutterpellets für große Hunde. Diese sind natürlich ungenießbar für diese Hundekinder, die eigentlich noch Milch brauchen. Alle sind sehr dünn und schwach, einige bereits in absolut lebensbedrohlichem Zustand.
Diese Situation ist kein Einzelfall, dies ist grausamer Alltag in Rumänien! Es gibt Welpen wie Sand am Meer. Sie werden sehr zahlreich von den eigenen Besitzern in diversen Tierheimen abgegeben oder noch häufiger einfach ausgesetzt. Entweder die Kleinen verenden dann qualvoll irgendwo am Straßenrand, oder sie finden sich in irgendwelchen Einrichtungen wieder, in denen man ihren Bedürfnissen in keiner Weise gerecht wird.
Nur in den wenigsten Tierheimen kann man Welpen so versorgen wie es notwendig ist. Denn Welpen sind besonders anspruchsvoll, was das Management angeht. Sie werden meist geschwächt vorgefunden, sind geplagt von Parasiten verschiedenster Art, ihr Immunsystem ist dadurch in Mitleidenschaft gezogen und zusätzlich stehen sie unter Stress durch den Verlust der Mutter. Hochwertiges Futter, Entwurmungen und Impfungen sind teuer. Dies wiederum ist aber unerlässlich, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen.
Infektionskrankheiten wie Parvovirose und Staupe schweben als dauernde Bedrohung über den Kleinen. Welpen brauchen eine warme, saubere Unterbringung, Hygiene aber auch Sozialkontakte! Wachsen Welpen während der ersten Lebensmonate isoliert im Zwinger auf, dann können keine psychisch gesunden Hunde aus ihnen werden. Auch brauchen sie ausreichend Platz zum Toben, damit sich ihr Bewegungsapparat richtig entwickeln kann. Eine große Aufgabe also, einen Wurf Welpen aufzunehmen! Wie sollen das all die Tierheime bewerkstelligen, die ohnehin schon unter Platz- und Personalproblemen leiden und zusätzlich stets finanzielle Engpässe haben?
Nun stehe ich also von Angesicht zu Angesicht mit diesen zehn kleinen Lebewesen, die
in dieser Situation ohne Hilfe keinerlei Überlebenschancen haben. Wegschauen ist keine Option. Was dann? Alle Kontakte, die ich anrufe, sind bereits voller Welpen. Keiner kann helfen. Wir selber haben keine Auffangstation in Rumänien und wir brau- chen unsere Energie ohnehin für die vielen Kastrationen!
Trotzdem lade ich die Welpen in mein Auto. Ohne Plan. Sie zurückzulassen ist jedenfalls undenkbar. In diesem Moment übernehme ich die Verantwortung für zehn Leben und alles, was das mit sich bringen wird.
Bis jetzt hat sich noch immer ein Weg gefunden.
Es folgt etwas später ein Anruf einer Tierfreundin, die mir einen leerstehenden Zwinger anbietet. Und sich bereit erklärt, auch bei der Versorgung zu helfen. Die Kleinen sind sehr geschwächt, bereits in der ersten Nacht versterben drei von ihnen. Wir kämpfen mit Wut, Traurigkeit und Verzweiflung. Warum müssen diese kleinen Wesen geboren werden, wenn keiner sie haben will? Warum müssen Babies, die eigentlich wohl umsorgt in ihr Leben starten sollten, mit solch einem Überlebenskampf konfrontiert werden?
Trotz aller Mühen verlieren wir zwei Tage später einen weiteren Welpen. Die restlichen stabilisieren sich und halten in den kommenden zweieinhalb Monaten drei Menschen auf Trab. Saubermachen, füttern, behandeln, bespaßen, Wärmflaschen, Welpenmilch, Sozialisierung.
Wir haben Glück und sie bleiben relativ gesund, lediglich haben sie anfänglich starken Wurm- befall und später mit Hautpilz
zu tun, welcher aufwändig behandelt werden muss. Dies alles ist nicht einfach während eines normalen Alltags zu bewältigen und mir wird so zum ersten Mal wieder bewusst, wie unmöglich das tatsächlich in den allermeisten Tierheimen ist, die es zudem nicht nur mit einem Wurf Welpen zu tun haben, sondern mit sehr vielen.
Schließlich ist es soweit, und die Ausreise nach Deutschland steht bevor. Die Organisation von Pässen, Ausreisedokumenten, dem Transport an sich, Pflegestellen, Abholungen etc. ist nicht zu unterschätzen. Schließlich kommen sie in Deutschland an und auch hier hört die Verantwortung nicht auf.
Arina hat Durchfall und Liese Husten. Zipperlein, die häufiger nach dem Stress des Transportes zu beobachten sind. Doch dann zeigt sich, dass Liese ein tatsächlich ernstzunehmendes gesundheitliches Problem hat. Die Aufregung der Ausreise hat bei ihr den Ausbruch eine Au-toimmunerkrankung ausgelöst und sie hat dadurch einen Megaoesophagus (Aussackung der Speiseröhre, die zu großen Problemen bei der Futteraufnahme führt) entwickelt und wird daher zum Notfall. Sie benötigt besonderes Fütterungsmanagement und braucht somit eine neue Pflegestelle. Sorgen, Kopfzerbrechen und wieder Sorgen.
Letztendlich möchte ich keinen Tag mit den Kleinen missen und die Entscheidung, sie mitzunehmen, war die einzig richtige.
Doch: diese Geschichte zeigt mehr als deutlich, wie aufwändig es wirklich ist einen Wurf mutterlose Welpen zu begleiten bis sie schließlich in ihr eigenes Leben starten können. Wie viel Zeit, Geld, Energie und Herzblut es braucht, um diesen Job richtig zu machen. Und wie einfach wäre es gewesen, wenn die Mutter der Kleinen rechtzeitig kastriert worden wäre? 20 Minuten, und nicht nur ein Wurf Welpen wäre verhindert worden, sondern über die nächsten Jahre viele!
Wir wissen nicht, wo die Mütter unserer Welpen sind, sicher ist jedoch, dass sie wieder und wieder Welpen gebären werden, die ein ähnliches Schicksal ereilt. Die Rettung all dieser Welpen ist absolut unmöglich!!!
Mir war es ein Anliegen, diese Geschichte zu erzählen, um Ihnen deutlich zu machen, dass wir dem enormen Problem der überzähligen Hunde in Rumänien, aber auch in vielen, vielen anderen Ländern nur durch Kastrationen begegnen können.
Die Bemühungen der vielen Tierschützer um die Rettung von Welpen in Not im ganzen Land, schätze ich sehr. Aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen, in dem sich auch tatsächlich nicht wenige der betroffenen Menschen verlieren.
Die Kastrationen der Tiere sind um ein Vielfaches effektiver! Bitte gehen Sie diesen Weg mit uns, auch wenn wir das verhinderte Elend nicht eindrucksvoll durch Bilder dokumentieren können. Bitte stellen Sie sich die vielen, vielen kleinen Wesen vor Ihrem inneren Auge vor, die nicht geboren werden müssen, lediglich um zu leiden und zu sterben.
Eli, Gabriel, danke für Eure großartige Hilfe mit den Kleinen!
Arina, Liese, Lotte, Urdu, Moyo und Kavi, es war mir eine Ehre, Euren Weg ein Stück beglei-
tet zu haben. Ihr seid kleine Kämpfer! Genießt Euer Leben in vollen Zügen!
Liese, sei stark, werde ein großer, kräftiger Hund, Du schaffst das!
Eure Nina