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Ein Leben in Dunkelheit

Ein Text von Nina Schöllhorn | Tierärztin

Zum ersten Mal sah ich dich vor 10 Jahren.

Seitdem trägst Du mein Tatoo. DF- Dein Freund. Ein unsichtbarer Faden zwischen uns, über all die Jahre. Und ein Versprechen meinerseits, sollten sich unsere Wege wieder kreuzen und du in Not sein, so werde ich alles versuchen, dir zu helfen. Dies gilt, natürlich für alle Tiere in Not, doch für all diejenigen, die ein DF tragen, fühle ich mich besonders verantwortlich.

Vor zehn Jahren wurden wir also um Hilfe gebeten, da einem tierlieben Mann, sein Hundebestand außer Kontrolle zu geraten drohte. Damals holten wir 40 Hunde ab, kastrierten sie und brachten sie anschließend zurück. Zwei Hunde überließ er uns damals, um ihnen ein schönes Zuhause in Deutschland zu suchen. Dies fand er, habe ihm dann aber sein Herz gebrochen und er meinte, seine Hunde zu sehr zu lieben und es ihnen nicht antun zu können, sie wegzuschicken.

Schon damals merkte ich, dass seine Art der Tierliebe nicht im Sinne der Hunde war. Wer kann schon einer solchen Anzahl von Hunden wirklich gerecht werden, zumal der Mann nicht mal auf dem Gelände lebte, wo er die Hunde hielt. Eine eigene Familie sollte immer das erstrebenswerte Ziel für unsere Bemühungen um einen Hund sein.

Über die vielen folgenden Jahre wurden uns immer wieder Hunde von dort zum Kastrieren gebracht, da er nicht aufhörte, neue Hunde aufzunehmen. Immer gab ich sie mit einem schlechten Gefühl dorthin zurück. Immer wieder bot ich an, den einen oder anderen zu übernehmen. Chancenlos.

Nun zu Dir. Du warst unter den ersten Hunden, die wir dort kastriert hatten. Ihr wart insgesamt acht Geschwister. Sechs Monate alt, alle schwarz, alle schüchtern. Du warst blind, als einzige. Ich dachte mir damals, was dir wohl für ein Leben bevorstehen würde, an diesem Ort. Ich fühlte mich schlecht, nicht mehr für Euch tun zu können.

Nun stehe ich dir wieder gegenüber. Du bist genauso schüchtern, wie damals und schnupperst vorsichtig in meine Richtung. Es tut mir so leid, wie dein Leben verlaufen ist. Ich schäme mich und fühle mich elend. Du sitzt noch immer im selben, schäbigen Zwinger, wie damals. Verdreckt und einfach ein trauriger, armseliger Ort, ohne irgendetwas Schönes. Ohne irgendetwas, was ein Leben lebenswert macht. Dies alles wäre schon schlimm genug, denn es bedeutet ein vergeudetes Leben. Dein Leben, ungeschätzt, ungesehen, achtlos weggesperrt.

Doch es kam noch schlimmer. Vor zwei Monaten verschwand der Mann. Keiner wusste Bescheid, dass ihr alle unversorgt wart. Alleingelassen, weggesperrt, hilflos, verzweifelt. Verhungernd!

Als Hilfe kam, waren viele von Euch verendet. Du bist die einzig überlebende von acht Geschwistern.

Ich mag mir nicht vorstellen, wie diese Tage der Not für Euch waren. Ich bekomme die Bilder nicht aus dem Kopf.

Natürlich bemühen wir uns um alle von Euch. Versuchen Plätze zu finden, mit Futter und medizinischer Versorgung zu helfen.

Doch dein Schicksal berührt mich besonders. Ich versuche mir zehn lange Jahre im Dunkeln vorzustellen. Jeder Tag, wie der andere. Ein verdreckter Zwingerboden, Gestank, ein harter Holzboden in der Hütte. Minderwertiges Futter ab und an. Frisches Wasser, ab und an.

Soll das ein Leben sein???

Du hast noch etwas Zeit auf deiner Lebensuhr. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du diese nützen kannst, um noch ein wenig Schönes zu erleben. Ein warmes Bettchen, leckeres Futter, nette Worte und streichelnde Hände. Ich weiß, dass das erstmal eine Herausforderung für dich wäre, denn du kennst nichts von der Welt. Vor allem kennst du keine netten Menschen. Ich bin mir sicher, dass dich niemand angefasst hat, seitdem wir dich kastriert haben. Als ich mich jetzt nähere, versuchst du dich daher zu verstecken. Doch du frierst ein und lässt dann alles über dich ergehen. Du bist ein friedvolles Wesen, das spürt man sofort.

Yelina, heisst Licht, und so sollst du heißen.

Yelina, ich weiß, du würdest es schaffen. Du würdest, den traurigen Zwinger verlassen, der alles war in deinem Leben. Du würdest all deinen Mut zusammennehmen und nochmal neu anfangen. Jeder Tag, der dann auf dich warten würde, wäre es wert und keiner mehr wie der andere.

Wir beide brauchen jetzt ein kleines Weihnachtswunder. Wir suchen ein großes Menschenherz, das etwas Licht zu verschenken hat. Ich glaube daran, diesen Menschen zu finden.

Für alle Deine Leidensgenossen, die auf diesem Grundstück ihr Leben verloren haben.