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Rocky - zwei Wochen wie ein Leben

Ein Bericht von Antonia Xatzidiakou, Tierärztin

Heute würde er seinen zweiten Geburtstag feiern. Nun ist es nicht so, dass er wirklich erst zwei Jahre alt werden würde, sondern dass sein Leben erst vor zwei Jahren neu begonnen hatte. Da fand ich ihn nämlich. Und dieses neue Leben dauerte leider nur 14 Tage, denn er schloss danach seine Augen für immer. Wir haben sein wirkliches Alter auf ungefähr acht Jahre geschätzt, acht Jahre hatte er gelebt, ohne zu leben. Er ist nicht mehr bei uns, aber für mich noch allgegenwärtig.
„Er ist nicht mehr da, was willst du denn noch über ihn schreiben?“ fragte Gregor mich, aber die Erinnerung an ihn lässt mich nun mal nicht los.

Er hieß Rocky und mit dem Aufschreiben seiner Geschichte bewältige ich meine Trauer:
Nach dem heißen Sommer waren die Temperaturen auf Kreta endlich wieder angenehm. Wie immer kastrierten wir. An diesem Tag operierte unser Team in der Gemeindeklinik von Rethymno. Um effektiv arbeiten zu können, muss man alles, was um einen herum passiert, ausschalten können.
Irgendwann war aber der Lärm im Hintergrund zu groß. Letzter Stich, Tattoo-Paste auf das eingeritzte „NL“ und Verband drauf, den Hund auf die Decke legen, Handschuhe ausziehen und nach draußen gehen. Ich musste sehen, was da los war, warum niemand mehr im Haus war und warum ich das Gefühl hatte, dass alle gerade den Atem anhielten.

Das Team stand im Kreis und er, der Hund, in der Mitte. Rocky. Er lag in einer offenen Box im Auto und schaute uns an. Zwei rotbraune Augen mit einem eingefrorenen Blick. Ihn dünn zu nennen, wäre ein Kompliment: sein Körper bestand nur aus schwarzer Haut und Knochen. Übersät mit Wunden, Schuppen, dazu hing ein Seil um seinen Hals.

„Er stand auf der Straße, als ich hierher unterwegs war,“ sagte die Tierschützerin, die ihn gebracht hatte, „er muss euthanisiert werden.“
Unrecht hatte sie nicht, das wusste mein Team nach dem ersten Blick auf den Hund. Aber wenn wir zurück zur Station fahren, kommt er mit, das war uns auch ohne Worte klar.

Positiver Leishmaniose-Titer, erhöhtes ALP, ALT, BUN, UREA, CREA, offene Zehenfraktur, externe Otitis: Fachlich war es für uns Ärzte klar, dass Rocky keine Zukunft hatte. Manchmal aber setzen wir unsere professionelle Brille ab und sind einfach nur Menschen. Manchmal wollen wir auf ein Wunder hoffen und werfen all das bessere Wissen über Bord.
„Es wird, du schaffst es, Rocky!“ erzählten wir ihm jeden Tag. Er bekam alle Behandlungen, die ein Hund in seiner Lage bekommen kann. Tatsächlich wurde er langsam weniger gelb und seine Wunden fingen an zu heilen.  Beim Spülen seiner Fussfraktur entfernten wir über 15 Gewehrkugeln. Als ob sein Leiden noch nicht genug gewesen war, war er auch noch von jemandem angeschossen worden. Wir waren fassungslos. Wir versuchten, seine Geschichte zu erraten, versuchten uns zu erklären, wieso er so viel Unglück erfahren hatte: war er so hungrig gewesen, dass er beim Versuch, etwas Essbares zu stehlen, angeschossen wurde? Oder war er einfach über das falsche Grundstück gelaufen? Fand ihn jemand zu abstoßend, weil er kein schönes Bild mehr abgab?

Wie viele Menschen, an denen er vorbeilief, verschlossen ihre Augen vor ihm?  Wie viele Hände ignorierten seinen Hunger, wenn doch gleichzeitig so viel Essen im Müll landet? Wie viele Münder blieben stumm, als er angeschossen wurde und riefen keine Hilfe herbei? Wie viele Wege lief Rocky, um irgendwo einen Ort zu finden, an dem sein Leid ein Ende haben konnte?

Seine Existenz blieb über Jahre hinweg unsichtbar. Ich nenne sein Leben eine Niederlage der Menschlichkeit - dieser Hund hat mich mitten ins Herz getroffen, und das versuche ich schon lange tunlichst zu vermeiden.

Rocky lebte noch zwei Wochen lang. Er bekam das beste Essen, die weichsten Decken und die Box mit dem besten Ausblick. Er lag auf dem Gras und spürte die Sonne auf seinem Gesicht. Jeden Abend hielten wir unseren Atem an, weil wir nicht wussten, ob wir ihn morgens noch einmal lebendig sehen würden. Er wollte leben und kämpfte für sich, aber auch für uns, denn zum ersten Mal hatte er etwas, für das es sich lohnte zu kämpfen: sein eigenes Leben. Eine ganz neue Welt tauchte vor seinen Augen auf und wartete darauf, von ihm erkundet zu werden.

Rockys Kampf war leider nicht fair und er verlor ihn. Jahrelang hatte er nur existiert und musste nun nach zwei Wochen voller Leben sterben. Es war so schmerzhaft für uns, die Hoffnung wachsen zu sehen und sie dann doch verlieren zu müssen – aber es hat sich gelohnt: wir sind froh, dass Rocky der Arche-Familie angehört und uns wieder die Wichtigkeit unserer Arbeit aufgezeigt hat. Wir werden weiter kastrieren, um solches Leid zu verhindern. Wir werden weiter kastrieren, um wahres Leben zu ermöglichen. Mit jedem Nadelstich begleiten wir ein Tier in eine bessere Zukunft, eine Zukunft, die Rocky nicht erleben durfte.
Heute ist es zwei Jahre her. Die Erinnerung an ihn wird aber in jedem Leben, das mit Ihrer Hilfe gerettet wird, weiterleben. Bitte helfen Sie uns, noch mehr zu helfen. Jeden Tag.

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Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
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  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

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