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Vayu

Ein Bericht von Nina Schöllhorn | Tierärztin

Während ich diese Zeilen schreibe, liegt Vayu neben mir und drückt seinen Kopf an mich. Hin und wieder blickt er auf und sein Blick erzählt in erster Linie davon, wie glücklich und wie dankbar er ist. Vayu sucht meine Nähe, wann immer es möglich ist. Diese gibt ihm Sicherheit. Bin ich da, ist seine Welt in Ordnung. Er ist offen für alles, was der Tag sonst so bringt und genießt alles, was es zu erleben gibt. Vayu hat ein unglaubliches Vermögen sich zu freuen und dies auch auszudrücken! Er freut sich rennen zu können, zu balgen, zu kuscheln, sich im Gras zu wälzen, am Strand zu rennen und ganz besonders im Wasser zu liegen. Vayu lebt!

Dieser Hund hat eine ganz besondere Ausstrahlung, das bestätigt jeder, der ihn kennenlernt. Vayu ist die personifizierte Freundlichkeit. Man hat ihn gerne um sich, streichelt seine lange Nase und spricht sanft mit ihm. Er tut den Menschen gut. Dieser Hund ist die wahre Freude und eine Bereicherung für uns Menschen. Ein wahres Goldstück.
Doch Vayu wurde achtlos entsorgt, wie ein übriges Stück Sperrmüll.

Es ist drei Monate her, dass sich unsere Wege kreuzten. Es war ein langer, anstrengender Tag während unserer Kastrationsaktion in Slatina. An diesem Tag wurden uns mutterlose Kätzchen gebracht, die die Flasche brauchten. Die zusätzliche Aufgabe bereitete uns Kopfzerbrechen und wir alle waren müde. Doch eine innere Stimme befahl mir zum Damm zu fahren, zu jener unsäglichen Todeszone, in der immer und immer wieder Hunde entsorgt werden.

Ich suchte dort nach einer sehr dünnen Hündin, die ich seit einer Weile fütterte. Sie war nicht am üblichen Platz und so fuhr ich etwas umher. Und da lag er, mitten im Müll, ein zum Skelett abgemagerter Hund. Wir waren sicher, dass er tot sein musste. Da hob er seinen Kopf. Uns allen dreien liefen Schauer über den Rücken. Mein Herz begann zu rasen und ich zitterte am ganzen Körper. Wir alle waren völlig schockiert. Der Hund war nicht in der Lage sich aufzurichten, er war extret abgemagert, ausgetrocknet und kraftlos. Er stand vor Dreck und hunderte Flöhe lebten auf ihm.

Wortlos luden wir ihn ins Auto, ebenso wortlos gingen die Handgriffe vonstatten, die sein Leben retten sollten. Venenkatheter schieben, Infusion legen, Vitamine spritzen. In uns schwirrten die Gedanken. Wie ist so etwas möglich? Wie können Menschen so etwas fertigbringen? Wo kommt er her? Wie lange war er schon da? Wie sah sein Leben davor aus?
Zusehends wurde er wacher, als ob mit jedem Tropfen Infusion auch ein wenig Leben zurück in ihn tropfte. Ich fühlte, dieser Hund würde leben. Wir waren gerade noch rechtzeitig gekommen. Einen weiteren Tag hätte er dort nicht überstanden.

Mir war noch etwas klar. Vom ersten Augenblick als ich ihn sah. Er war mein Hund. Wer mich kennt, der weiß, dass ich seit ewigen Zeiten von einem Windhund träume. Genau genommen seit 28 Jahren. Seit mir diese Hunde zum ersten Mal begegnet sind, war ich fasziniert und bezaubert. Es war aber selbstverständlich klar, dass es ein Windhund in Not sein sollte, der seinen Weg zu mir finden würde, auf welchem Weg auch immer. Fast wehmütig war ich manchmal, dass es mich nach Rumänien verschlagen hatte und nicht nach Spanien oder auf die Kanaren, wo meine Chancen weit besser gestanden hätten, einem solchen Geschöpf zu begegnen. Insgeheim hatte ich ihn mir schon viele Male vorgestellt, meinen Traumhund. Optimalerweise wäre er gestromt, ein Rüde und nicht mehr ganz jung. Doch die unterschiedlichsten Hunde fanden über die Jahre zu mir, auf unterschiedlichsten Wegen. Nie habe ich sie mir wirklich aktiv ausgesucht. Und sie alle waren mir treue Weggefährten, wo auch immer mich das Leben hintrieb, wo auch immer ich hinreiste, wo auch immer ich arbeitete. Es waren stets zwei Hunde an meiner Seite. Bis vor einem Jahr meine langjährige italienische Begleiterin Saada von mir ging. Sie hinterließ eine Lücke, die nicht geschlossen werden konnte, und auch nicht sollte. So blieb nur Muugi an meiner Seite, der kleine Winzling mit dem ganz großen Ego. Er erfüllte seine Aufgabe als Beschützer selbstbewusst.
Und nun stand ich also vor ihm. Dem Hund meiner Träume. Das musste Schicksal sein.
Wie sollte er heißen? Es musste ein besonderer Name sein, für solch einen besonderen Hund. Schließlich wurde es Vayu. Vayu kommt aus dem vedischen und heißt Herr der Winde, oder auch Lebenshauch. Ich denke einen passenderen Namen gibt es kaum für ihn.

Vayu zeigte vom ersten Tag an seinen grundguten, lieben Charakter. Er konnte kaum glauben, dass man ihm jetzt viele Male am Tag kleine Portionen Futter reichte, dass ständig jemand danach schaute, dass er frisches Wasser hatte und weich und sauber lag. Was für eine Freude war, es, als Vayu mit Hilfe stehen konnte! Und wie schön war es, als er das erste Mal aus eigener Kraft aufgestanden ist. Bald schon wollte er mit dem Rest unserer Pfleglinge spazieren gehen. Und insgeheim konnte ich es nicht erwarten, ihn rennen zu sehen.
Und Vayu rennt! Er rennt wie der Wind! Seine Freude, die er dabei empfindet, ist auch meine Freude!

Ich kann mir keinen besseren Begleiter vorstellen. Und ich bin zutiefst dankbar, dass ich ihn rechtzeitig gefunden habe. Was für ein schrecklicher Verlust wäre es gewesen, wenn er dort verendet wäre.

Vayu ist gezeichnet von Narben am ganzen Körper. Große Narben, die von tiefen Verletzungen stammen. Er führte das Leben eines Jagdhundes, das in aller Regel erbärmlich ist. Ein Teil des Schwanzes und die Daumen wurden ihm abgeschnitten. Wie kann ein Hund trotz all dem so freundlich und voll Vertrauen sein?
Vayu steht stellvertretend für sehr viele Hunde und auch Katzen, die an dieser Stelle am Fluss ausgesetzt werden. Die meisten von ihnen haben nicht das Glück, gefunden zu werden. Jeden Tag, an dem ich mich freue, dass Vayu bei mir ist, denke ich auch an all die anderen und es wird mir schwer ums Herz.

Doch dann nimmt mich wieder Vayus Lachen gefangen, sein genüssliches Grunzen und sein lustiges Singen, wenn es zum Spaziergang geht.
Manchmal muss man als Tierarzt keine medizinischen Höchstleistungen verbringen, um ein Leben zu retten. Manchmal muss man einfach ein Mensch mit Herz sein, zur rechten Zeit am rechten Ort.
Danke, Vayu, dass Du an meiner Seite bist!