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Diese verdammte Stille

Gedanken von Thomas Busch | Tierarzt

Er wusste genau wie spät es ist. Immer zur selben Zeit fand er seinen Platz frühmorgens inmitten der Katzen. Immer vor der Tür der Futterkammer. Immer genau unter unserem Fenster. Und wehe wir waren mit der Fütterung nicht schnell genug, oder die Reihenfolge wurde missachtet. Kamen ihm die Katzen zu nahe, passte ihm das auch nicht. Dann beschwerte er sich. Lauthals. So laut, dass an Schlafen nicht mehr zu denken war. Auf den Mond hätte man ihn dann schießen können.

In den letzten Tagen konnte er nicht mehr aufstehen. Seine Hüften versagten komplett ihren Dienst. Wir trugen den schweren Kerl rein und raus, in den Schatten und zu seinem Napf. Selbstverständlich immer darauf achtend, dass sein Ball bei ihm war.

Leo wurde zirka 15 Jahre. Er lebte die längste Zeit seines Lebens mit dem englischen Ehepaar zusammen, von denen wir das vorherige NLR gemietet hatten. Als diese dann zurück nach England gingen, blieb Leo – sozusagen als Erbe – bei uns. In einem großen Auslauf, da er Katzen gern jagte. Als wir auszogen blieb Leo bei den neuen Besitzern. Er rutschte sozusagen in ein Besitzervakuum, denn er gehörte weder uns, noch den neuen Besitzern und den alten auch nicht mehr. Mit einem schlechten Gewissen behaftet fuhren wir immer mal wieder hin und besuchten ihn und auch die Katzen, die seit Urzeiten auf dem Gelände lebten und wir sie deshalb nicht mitnehmen konnten/wollten.

Als Leo allerdings krank wurde, riss der Geduldsfaden. Kurzerhand zog er zu uns in unser neues NLR (gemeinsam mit der einen oder anderen Katze) und erhielt einen provisorischen Auslauf mit Blick über unser neues Anwesen. Leo erholte sich. Allerdings waren seine Arthrosen an einem Tiefstand angekommen, dass wir ihn unter Schmerzmittel setzen mussten. So ging es wieder, bzw. lies es sich einigermaßen laufen.
Man muss wissen, dass Leo ein Fußballspieler war, und zwar einer der besten! In der Rolle des Torwartes, gelang ihm das Kunststück, einen Ball komplett in den Mund zu nehmen, so ähnlich wie das Ausklinken des Unterkiefers bei einer Schlange, wenn sie einen Elefanten verschlingt. Leo liebte die Geselligkeit und seinen Ball. Wenn er beides hatte, war er glücklich. Dann half er beim Unkraut zupfen, beim Auto waschen, beim Kärchern oder im Haushalt. Wer ihm hin und wieder mal den Ball zuschoss, wurde sein Freund.

Irgendwann rissen wir die Zäune seines Auslaufes nieder. Leo war angekommen. Er brauchte nicht mehr weggesperrt werden. Er ertrug auch die Katzen, obwohl einige seine Erzfeinde waren und andere wiederum sogar seinen Ball berühren durften.
Wir vermuten zwar, dass das mehr mit seinen Arthrosen in Zusammenhang stand, als mit seinem großen Herzen für Samtpfoten, aber wen störte das noch? Leo war alt geworden und manches Mal zerriss es uns, wenn wir sahen, wie schlecht er hinter seinem geliebten Ball her rannte. In den letzten Tagen konnte er nicht mehr aufstehen. Seine Hüften versagten komplett ihren Dienst. Wir trugen den schweren Kerl rein und raus, in den Schatten und zu seinem Napf. Selbstverständlich immer darauf achtend, dass sein Ball bei ihm war.
Aber den Verfall eines großartigen Sportlers und begnadeten Fußballprofis miterleben zu müssen, war mehr als wir (und vor allem er) ertragen konnten.

Jetzt ist es still unter unserem Fenster. Und plötzlich hassen wir diese Stille. Was würden wir darum geben, ihn noch einmal bellen zu hören, ihm ein letztes Mal den Ball zuzuwerfen?
Bei seinem Ende waren alle anwesend, die zu seiner neuen Familie geworden waren. Leo ging im engen Kreise seiner Freunde. Und was noch viel wichtiger ist, mit seinem geliebten Ball.
Auf dass es da oben riesige Sportplätze gibt!
Deine Familie vom Tierärztepool